Wo Liebe alle Grenzen überwindet
In einer umfangreichen Edition der Geschichte von „Flos unde Blankeflos“ bringen Elisabeth de Bruijn und Bernd Bastert einen äußerst beliebten Stoff (nicht nur) der jungen Studierendengeneration nahe
Von Jörg Füllgrabe
Interkulturelle Begegnungen sind – zumindest in unserer Hemisphäre – zur Normalität geworden und finden tendenziell zumeist in einer positiven oder doch zumindest neutralen Weise statt. Dass diese Meta-Konstellation einer generellen Weltoffenheit keineswegs selbstverständlich ist, macht nicht nur ein Blick auf die Geschichte deutlich, und so ist spätestens die Zeit ab dem Hohen Mittelalter von einer sich massiv auch literarisch niederschlagenden Konfliktsituation zwischen Orient und Okzident, der muslimischen und der christlichen Welt, geprägt. Dass hierbei der Islam die expansivere Partei war, geht nicht allein aus der Tatsache hervor, dass bereits recht früh das jüdisch-christliche Jerusalem erobert wurde, sondern zeigt sich auch daran, dass die weiteren militärischen Vorstöße und in diesem Zusammenhang die Eroberung des christlich geprägten und westgotisch beherrschten Spanien im frühen achten Jahrhundert erfolgten.
Und genau dort, auf der Iberischen Halbinsel, ist der Kern-Schauplatz der Erzählung von Flos unde Blankeflos (beziehungsweise der um die Mitte des 12. Jahrhunderts entstandenen französischen ‚Urversion‘ um die Liebe des spanisch-muslimischen Königssohns Floire zu der christlichen Sklavin Blanchefleur) angesiedelt. Allerdings wird dieser im Laufe der Geschichte deutlich erweitert, und so wird auch das in der abendländisch-christlichen Tradition zwar noch deutliche erinnerte, aber anachronistische Babylon in diese Geschichte von Liebe und Intrige, Verrat und Bewährung einbezogen. Denn die Liebe des Paares bleibt dem muslimisch-iberischen Herrscher nicht verborgen, verstimmt diesen, und Blanchefleur/Blankeflos wird eben nach Babylon verkauft. Der verliebte Prinz heftet sich der Geliebten an die Fersen, und mit kriegerischer Tüchtigkeit, mehr aber noch mit Hilfe seines ausgeprägten Verstandes kann er sie befreien. Die Flucht jedoch wird entdeckt, beide werden gefangen genommen und zum Tode verurteilt – dann freilich begnadigt. Ob diese Überlieferung des Motivs des Großmutes für das Libretto der Mozart-Oper Die Entführung aus dem Serail eine Rolle spielte, wird sich wohl nicht klären lassen, erscheint aber nicht abwegig. Diesem individuellen Happy End wird dann noch ein politisch-gesellschaftliches hinzugefügt: Nach seiner Rückkehr auf die Iberische Halbinsel treibt der zum Christen gewordene Floire die (Re-)Christianisierung Spaniens voran – 300 Jahre vor der Reconquista.
Offenbar erfreute sich das Motiv respektive seine literarische Umsetzung im französischen Sprachraum äußerster Beliebtheit, was sich in einer weiten Verbreitung von Handschriften bis in den deutschen und explizit niederdeutschen Sprachraum niederschlug. Elisabeth de Bruijn und Bernd Bastert war es nun ein Anliegen, diesen einst gerade auch dort populären Text aus der Vergessenheit zu befreien und dabei neben einer grundsätzlichen Informationsbasis genauer auf die niederdeutschen Handschriften einzugehen. Dies und weitere relevante Informationen werden in der mit knapp über 20 Seiten recht übersichtlich wirkenden Einleitung ausgeführt. Sicherlich wäre es hier wünschenswert, den einen oder anderen Aspekt breiter dargelegt zu sehen, dennoch wird das Wesentliche auf den Punkt gebracht und in einer ansprechenden Konzentration zielführend dargeboten.
Diese Informationen verbleiben nicht ausschließlich beim Unabdingbaren, und so ist es zwar für die mittelniederdeutsche Tradition nicht unmittelbar von Belang, aber dennoch interessant, dass etwa die französischen Textüberlieferungen sich in zwei Traditionszweige aufspalten, die mittlerweile neutral mit ‚I‘ und ‚II‘ bezeichnet werden. Ihre in der älteren französischen Forschung gebräuchlichen Benennungen als ‚aristokratisch‘ und ‚populär‘ schränkten wohl die Erwartungshaltungen ein, waren aber auch imstande, Interesse zu wecken. Dies sowie die deutschen und mittelniederländischen Bearbeitungen werden im Unterkapitel zur „Stoffgeschichte“ behandelt.
Anschließend erfolgt ein Blick auf die „Forschungsgeschichte“ und den Forschungsstand, der zum einen tatsächlich den Verlauf der entsprechenden Forschungsschritte untersucht, aber auch die Frage nach der Verbreitung der Texte in den niederdeutschen Raum hinein und hier insbesondere auch den Weg in die Ostseeregion thematisiert. Entsprechend wird daraufhin der „mittelniederdeutsche Flos unde Blankeflos“ beleuchtet und dabei Grundsätzliches zur mittelniederdeutschen Bearbeitung des Motivs diskutiert, bevor ein Blick auf die Situation der handschriftlichen Überlieferung zu Flos unde Blankeflos erfolgt. In konsequenter und auch unbedingt naheliegender Erweiterung des Handschriftenbestandes werden anschließend auch die „ripuariaschen Fragmente von ‚Flors inde Blanzeflors‘“ sowie der „Trierer (maasländische) Floyris“ betrachtet. Hinweise und Ausführungen zur „Textausgabe“ schließen die knappe, aber effiziente Einleitung adäquat ab.
Flos unde Blankeflos liegt in insgesamt fünf Handschriften beziehungsweise Handschriftenfragmenten vor, die zwar nicht gänzlich vergessen, aber bislang doch eher randständig wahrgenommen wurden. Dieses Vakuum wird mit der vorliegenden Publikation gefüllt. Die durch eine neuhochdeutsche Übertragung und einen weiterführenden Kommentar erweiterte textnahe Edition bietet für Interessierte einen ausgezeichneten Zugang zu den Texten und ihrem Umfeld. Als Erweiterung und Ergänzung sind überdies der maasländische Trierer Floyris sowie die ripuarische Variante Flors inde Blanzeflors aufgenommen; auch diese beiden Texte sind kommentiert und ins Neuhochdeutsche übertragen. Hilfreich ist auch die Synopse der Flors unde Blankeflors-Handschriften, allerdings mit einer Einschränkung, auf die weiter unten noch einzugehen sein wird. Eine kompakte und zielorientierte Bibliographie rundet diesen Band ab, der das Ergebnis von Überlegungen der Herausgeberin und des Herausgebers ist, die diese bereits vor einem Jahrzehnt angestellt haben. Das Warten hat sich hier definitiv gelohnt.
Eine weitere schöne Ergänzung der Publikation bilden die farbigen Fotografien der verschiedenen Handschriften, konkret der jeweils ersten Seite, die dem Text in einem Abbildungsteil angefügt sind. Und diese sind sogar – mit Ausnahme des Fotos des Trierer Floyris lesbar, das heißt in einer ansprechenden Größe gehalten. Dies lässt sich bedauerlicherweise nicht über die abgedruckten Karte zur Verbreitung der Flos unde Blankeflos-Handschriften sagen. Es ist zwar schön, visualisiert zu sehen, wo die erhaltenen Fragmente im niederdeutschen Raum aufbewahrt werden. Um diese Orte/Bibliotheken ohne vertiefte geographische Kenntnisse zuordnen zu können, bräuchte es allerdings eine Karte nebst entsprechender Beschriftung, die über das gebotene Format deutlich hinausweist.
Gleiches gilt für die dankenswerterweise eingefügte Synopse der Handschriften, die in der Papierausgabe auf vierzig im Querformat bedruckte Seiten ‚eingedampft‘ ist. Das hätte schon mehr als einen Hauch von Folter, wäre nicht dankenswerterweise ein Link zur Verlagsseite mit der entsprechenden Textsynopse angegeben. Für die ganz Eiligen gibt es zudem einen QR-Code – wiederum ausgeführt in nachgerade absurder Dimensionierung. Dies sind allerdings wirklich die beiden einzigen Schönheitsfehler eines ansonsten wirklich gelungenen Buchprojektes.
Zum Schluss sei noch eine der sich ergebenden Lehren, die aus der Lektüre von Flos unde Blankeflos zu ziehen sind, angesprochen. Diese wird am Ende dieses mittelniederdeutschen Textes auf lyrische Weise auf den Punkt gebracht: Got gheve uns eynen gudhen ende, wo wy uns yn der werlde wenden. dyt bok ys ute, me gheve uns ber uppe de snute. Dies ist nach den dramatischen Ereignissen, die zuvor geschildert wurden, zunächst vielleicht etwas irritierend. Aber besser als mit dieser Aufmunterung zu durch das Vertrauen auf Gott und Brauereikunst gewonnener Gelassenheit lässt sich die Lektüre des mittelalterlichen Textes, nebst den anregenden Erläuterungen und Kommentaren, als über die Dimension des Buches hinausweisendes Lebensmotto nicht beschließen. Und für alle diejenigen, denen Abstinenz am Herzen liegt, ein zeitgemäßer Hinweis: Bier gibt es durchaus schmackhaft auch ohne Alkohol.
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg
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