Umkämpfter Universalismus
Natasha Browns zweiter Roman „Von allgemeiner Gültigkeit“ ist eine unterhaltsame Mediensatire
Von Vanessa Franke
Mit dem Schlagwort Universality ist der Originaltitel von Natasha Browns zweitem Roman etwas eingängiger als der deutsche Titel. Damit ist auch schon das Thema des Buchs angesprochen. Auf einer Metaebene beschäftigt er sich mit der Frage, ob es eigentlich noch etwas geben kann, das von allgemeiner Gültigkeit ist. Oder ob schon die Idee von Universalität allein nur noch ironisch verstanden werden kann im Zeitalter der politischen und sozialen Gräben, der Kulturkämpfe und Identitätsdebatten. So resoniert der Roman mit rezenten theoretischen Abhandlungen zum Thema des Universalismus, das lange als hegemonialer Diskurs verpönt war, seit Kurzem aber wieder, wenn auch unter neuen Vorzeichen, Konjunktur hat. Die Erzählung um die Journalistin Hannah findet mitten in dieser medialen Debattenkultur statt. Auf dieser Handlungsebene geht es um ihren Artikel zu einem Kriminalfall, den sie, so erfährt man später, stark verfremdet und aufgebauscht hat, um den Artikel überhaupt verkaufen zu können und im viel zu teuren London über die Runden zu kommen. Eine zentrale Rolle spielt dabei auch die Kolumnistin und Buchautorin Lenny, die sich einen Namen durch reißerische Thesen („unmittelbare Bedrohung durch ‚die Woke-Kultur und anti-weiße Ressentiments‘“) und einen provokanten Stil („Es stimmt, ich habe einen Banker gevögelt“, erklärt sie bei einer Podiumsdiskussion) gemacht hat. Solche Figuren wie Lenny, die gewollt überzeichnet und typenhaft wirken, machen den Roman zu einer unterhaltsamen Mediensatire. Diese endet passend in einem emotionalen, medialen ‚Showdown‘ zwischen Lenny und einem überforderten Moderator. Der symbolisch recht aufgeladene Kriminalfall, bei dem ein antikapitalistischer Hausbesetzer namens Pegasus auf einer ökologischen Farm mit einem Goldbarren im Wert von einer halben Million Dollar niedergeschlagen wird, entpuppt sich als bloßer ‚MacGuffin‘. Der Begriff stammt eigentlich aus dem Kino, wurde von Alfred Hitchcock geprägt und bezeichnet, wie im Roman selbst reflektiert wird, „ein bedeutungsloses […] Objekt, das keine Antworten und keine Auflösung bringt.“ Am Ende geht es heutzutage eben um die Debatte und die Emotionen, weniger um den Inhalt, scheint der Roman zu vermitteln. Dabei lassen sich die Figuren nicht in ein einfaches Schema von Gut und Böse einteilen. Sogar die kalte und opportunistische Lenny stellt in ihrer Direktheit durchaus berechtigte Fragen: „Wem dient dieses Land? Den wohlhabenden neoliberalen Londoner Eliten oder den hart arbeitenden Durchschnittsbriten?“
Brown zeichnet mit scharfem Blick ein Porträt der heutigen (britischen) Medienwelt: anscheinend eine Löwengrube, in der jeder untergeht, der auch nur ansatzweise Ideale oder Empathie besitzt. Zugleich erzählt sie die Geschichte von Londoner Millenials aus der middle class, zu denen auch Hannah und ihre Freunde zählen, die sich in Spießertum und Snobismus gegenseitig überbieten. Besonders gelungen ist die Szene eines Abendessens in Hannahs Wohnung, in der mittels pointierter Dialoge auf humorvolle Weise deutlich gemacht wird, wie sehr diese Individuen doch in einen medialen Diskurs verstrickt sind, der sie im Grunde gegeneinander aufhetzt. Im Gespräch mittels Einfühlungsvermögen und Verständnis zu einem Konsens zu gelangen, scheint unmöglich, da diese Charaktere nicht in der Lage sind, die Perspektive einer anderen Person einzunehmen. Vor allem lässt sich nicht mehr differenzieren, was eigentlich eigene Meinung und was bloßes Wiederkäuen von Online-Artikeln und Podcasts ist. Von John, der gegen den „herablassenden Ton der linken Medien“ wettert, über Guin, die alles an sich abprallen lässt, bis zu Hannah, die mit Klassismus- und Rassismus-Vorwürfen um sich wirft: Hier fungiert niemand als Sympathieträger.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass sich die Aussteigergruppe um den zusammengeschlagenen Pegasus ‚Die Universalisten‘ nennt. Sie sind überzeugt, dass ein gemeinschaftliches Leben jenseits aller sozialen Differenzen möglich ist. Die Erzählstimme macht jedoch von Anfang klar, dass dieser „Traum ganz offiziell vorbei“ ist, und letztendlich überwiegen, so viel kann verraten werden, doch die Unterschiede zwischen den Figuren und Identitäten. Am Ende scheint der Text vor allem aufzeigen zu wollen, wie sehr eine sogenannte ‚Wahrheit‘ von der jeweiligen Perspektive abhängt. Das Buch selbst ist allerdings ein Beweis für die Gleichzeitigkeit von Universellem und Partikularem: Einerseits ist es ein durch und durch britischer Roman, der sich in der fragmentierten englischen Mittelschicht verortet und sich auf eine sehr spezifische englische Kultur- und Medienlandschaft der Gegenwart bezieht. Andererseits verhandelt er Themen, die an vielen Orten der Welt seit einigen Jahren debattiert und oft unter dem Schlagwort Identitätspolitik zusammengefasst werden, womit meistens linke Identitätspolitik gemeint ist. Es ist also vielleicht das Ringen um Wahrheit und Deutungshoheit an sich, das universell ist.
In ihrem gefeierten Debütroman Assembly (auf Deutsch übersetzt als Zusammenkunft) über eine Schwarze Frau in der Londoner Finanzwelt versuchte sich Natasha Brown auf knapp 100 Seiten an einer reduzierten, möglichst neutralen Sprache, einem Schreiben im degré zero. Der zweite Roman, der auf der Longlist des Man Booker Prize steht, ist nun etwas spielerischer, ausführlicher und unterhaltsamer als der erste, dafür aber auch unübersichtlicher. Vor allem im ersten Teil des Buchs verliert man schnell den Überblick bei zahlreichen Namen und Handlungssträngen. Die Reflexion über Sprache ist auch diesmal relevant: Es geht darum, welche enorme Macht Sprache in den Medien besitzt, nicht nur vor dem Hintergrund von sogenannter ‚wokeness‘, sondern vor allem auch in Bezug auf Fake News, der Frage nach allgemeingültiger Wahrheit und danach, wer diese definiert. Mit Blick auf die jüngsten Ereignisse in den USA, dem Mord an dem rechten Youtuber Charlie Kirk und die Absetzung der Jimmy-Kimmel-Show, also ein Thema, das kaum aktueller und drängender sein könnte. Der erste Teil des Romans, ein Artikel mit dem Titel „Narrengold“, der in der fiktiven Zeitschrift Alazon erschienen ist, spielt mit einem derzeit sehr populären Stil journalistischen Schreibens – eine essayistische Reportage oder Long Read, wie man sie aus Zeitungen wie dem Guardian kennt, hierzulande aus Zeit und SZ. Dieser Artikel ist ein Text im Text, da er von der Hauptfigur Hannah geschrieben wurde. Brown hat betont, dass dieser Teil des Buchs absichtlich schlecht geschrieben sei, um den typischen, elliptischen Stil mit vielen Wiederholungen dieser Long Reads zu parodieren. Das klingt dann zum Beispiel so:
Jake konnte nicht fassen, dass es möglich war, eine solche Summe in den Händen zu halten, geschweige denn damit zuzuschlagen. Wieder und wieder. Und noch einmal. Bis der Getroffene sich nicht mehr rührte. Aber nun war es wirklich passiert, oder? Ja. Jake konnte die Augen nicht abwenden: Zu seinen Füßen lag ein regloser Mensch.
Wenn man solche Reportagen (oder True Crime-Podcasts) gewohnt ist, fällt der schlechte Stil beim Lesen kaum noch auf. Was wiederum auffällt, ist dann der Stilwechsel zum zweiten Teil, der tatsächlich viel runder ist und in den man leichter eintauchen kann.
Von allgemeiner Gültigkeit als Thesenroman zu bezeichnen, würde der Komplexität des Buchs nicht gerecht werden. Es ist ein hochaktuelles Thema, dem sich Natasha Brown mit ihrem zweiten Roman widmet und das sie von verschiedenen Blickwinkeln aus auf kluge Weise beleuchtet. Es gibt, entsprechend dem MacGuffin-Prinzip, „keine Antworten und keine Auflösung“. Allerdings will die Autorin, wenn auch keine These, so hauptsächlich ein bestimmtes Thema abhandeln, wobei die Literarizität hinter dieser Ambition ein Stück weit zurückbleibt. Eine hohe Literarizität dürfte jedoch auch nicht unbedingt dem Anspruch der Autorin entsprechen, schließlich verkündete sie unlängst, sich aus dem Schreiben eventuell zurückzuziehen und wieder im MINT-Bereich zu arbeiten.
|
||















