Lieber Doktor Benjamin
Stefan Hauck ediert Margarete Steffins Briefe an Walter Benjamin und andere berühmte Männer
Von Geret Luhr
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseÜber Jahrzehnte hinweg teilte Margarete Steffin das Schicksal Elisabeth Hauptmanns. Beide führten sie in ihrem Leben und Nachleben ein Dasein im übergroßen Schatten Bertolt Brechts. Meist waren sie kaum mehr als eine Fußnote wert, wenn es darum ging zu erklären und zu rechtfertigen, dass Brecht schließlich nicht alle seine Werke in Eigenregie habe herstellen können. Erst mit den Arbeiten Sabine Kebirs Ende der achtziger Jahre begann sich diese Situation zu ändern. Die Forschung war aufmerksam geworden auf die kaum zu überschätzende Arbeitsleistung, die die beiden Schriftstellerinnen im Dienste Bertolt Brechts erbracht hatten. Doch auch wenn man nun wusste, dass viele Stücke Brechts in weiten Teilen gar nicht seine Handschrift trugen, blieben die Werke, Stücke und Arbeiten, die Margarete Steffin und Elisabeth Hauptmann unter ihrem eigenen Namen verfasst hatten, bis heute weitestgehend unediert. Um so mehr ist es zu begrüßen, dass Stefan Hauck, der bereits über das literarische Werk von Margarete Steffin promovierte, nun eine Edition ihrer Briefe vorgelegt hat.
Auch hier bleibt freilich die Abhängigkeit von den großen Männern auf besondere Art bestehen. Überliefert sind nämlich vor allem jene Briefe, die die Steffin an mit ihr befreundete Schriftsteller geschickt hat. Der Band trägt deshalb den sprechenden Titel "Briefe an berühmte Männer. Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Arnold Zweig". An Benjamin sind die meisten der versammelten Briefe gerichtet, er erhält siebzig, während Brecht fünfzig bekommt und Arnold Zweig sich mit knapp zehn zufrieden geben muss. In dieser Verteilung spiegelt sich deutlich die jeweilige Natur der persönlichen Beziehungen wieder. Während Margarete Steffin während des Exils über lange Zeiten hinweg bei und mit Brecht lebte - und insofern weniger Briefe an ihn schreiben musste -, bestand zu Walter Benjamin fast ausschließlich brieflicher Verkehr. Benjamin hatte Margarete Steffin 1933 bei Brecht in einem Pariser Hotel kennengelernt und sah sie nur in jenen drei bzw. vier Sommern, die er in Svendborg verbrachte. Ihr Briefwechsel reicht bis in das Jahr 1939 hinein. Margarete Steffin starb nur ein Jahr nach Walter Benjamin, im Jahr 1941, an einer Tuberkulose, die ihren Körper bereits seit Jahren geschunden und zersetzt hatte
Walter Benjamin und Margarete Steffin brachten die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Voraussetzungen mit: Er war der großbürgerliche, akademisch gebildete, selbstbewusste Intellektuelle, sie eine proletarisch aufgewachsene, schwer kranke, sehr begabte Autodidaktin. Das gemeinsame Interesse für den Marxismus allein wird es jedoch kaum gewesen sein, was Benjamin von einer "wahren Freundschaft" zwischen ihm und Margarete Steffin sprechen ließ. Gründe für diese Freundschaft reflektieren die Briefe Margarete Steffins an Benjamin kaum. Sie legen jedoch Zeugnis ab von den gegenseitigen, meist lebenspraktischen Bemühungen der beiden füreinander: Man erledigt Botengänge, besorgt dem anderen wichtige Papiere und Informationen, Margarete Steffin schickt Benjamin Tabak und kümmert sich darum, seine Arbeiten in sowjetischen Zeitschriften unterzubringen.
Darüber hinaus fungiert sie als Mittelsfrau zwischen Brecht und Benjamin: ein großer Teil des Informationsflusses zwischen Brecht und Benjamin wurde von Margarete Steffin organisiert und kanalisiert. "Lieber Doktor Benjamin", setzen die Briefe ein, um dann oft auf folgende Art fortzufahren: "eben komme ich vom Bahnhof, habe b[recht] hingebracht, der kurze Zeit hier war u. zwar die Zeit zwischen Ihrem Brief u. Ihrer Karte. Wir haben sehr viel gearbeitet (u. a. ist das Liederbuch fertig geworden) u. ich verschob deswegen die Beantwortung aller Briefe. Verzeihen Sie mir. Jetzt soll ich sie von b grüßen u. fragen, wann sie kommen?" Viele der Briefe verhandeln jedoch auch Details, die unmittelbar das konkrete Exildasein Benjamins angehen. Hier wird viel über Manuskripte und Honorare gesprochen, über das eigene Wohlergehen und das von Freunden, die plötzlich untertauchen oder verhaftet werden. So besitzen die Briefe Margarete Steffins an Benjamin tatsächlich jenen "unverzichtbaren dokumentarisch-biographischen Wert", den die Benjaminforscherin Chryssoula Kambas, die die Briefe vor einiger Zeit im Archiv eingesehen hatte, ihnen zugesprochen hat.
Mit diesen Briefen liegt zugleich ein Stück allgemeiner Exilgeschichte vor. Immer wieder öffnen sie den Horizont und machen den Blick frei für das immer noch weitgehend verborgene Innenleben des Exils. Gefördert wird der historiographische Gewinn zusätzlich durch die umfangreichen Kommentare des Herausgebers. Jedoch nicht nur der Exil- und der Benjaminforschung hat Stefan Hauck mit seiner sorgfältigen Briefausgabe einen Dienst erwiesen. Trotz der männlichen Dominanz rückt Margarete Steffin hier selbst einmal als Person und als Autorin in den Vordergrund und beherrscht die Szene. Sie hat es verdient.