Revolutionäre Metaphysik

Willem van Reijen versöhnt Heidegger mit Benjamin

Von Johan Frederik HartleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johan Frederik Hartle

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man kann sich wundern über das Bemühen, Walter Benjamin ausgerechnet mit Martin Heidegger in eins zu denken. Im Frühjahr 1930 hatte Benjamin mit Brecht einen Heidegger-Lesekreis geplant. Überliefert ist das gemeinsame Vorhaben, "den Heidegger zu zerstören". Der Fundamentalontologe Heidegger auf der anderen Seite, der seine ländliche Herkunft als kleinbürgerlicher Bürgerschreck zur nationalsozialistischen Maxime gemacht hatte, war von den Inspirationen und Ambitionen Benjamins, von Judentum und Marxismus, Surrealismus, Konstruktivismus und Dada einige Kulturkreise weit entfernt. Der Gegensatz von Benjamins Suizid auf der Flucht vor der Gestapo und Heideggers Rektoratsrede, in der er sich zum intellektuellen Protagonisten des deutschen Faschismus machte, zeigen an, dass hier kein einfacher Fingerzeig genügt, um Parallelen vor Augen zu führen.

Der Utrechter Philosoph Willem van Reijen weiß um all diese soziokulturellen und politischen Differenzen. Schon im Titel sind sie reflektiert. Die zentrale Differenz von "Schwarzwald und Paris", deutschtümelnder Ländlichkeit und frankophiler Urbanität hebt van Reijen durchaus hervor. Aber ihm geht es um etwas anderes. Er will den methodischen Nachweis führen, dass Politik und Metaphysik in keinem unmittelbaren Verweisungszusammenhang stehen. Und daher setzt sein Versuch einer Parallelisierung tiefer an: in den dunklen Höhlen der Metaphysik.

Das Anliegen einer Entpolitiserung der Metaphysik ist keineswegs einfach nachzuvollziehen. Der Begriff der Metaphysik ist notorisch unklar und nur schattenhaft wird in van Reijens Essay die attackierte Gegenposition erkennbar. Walter Benjamin und Martin Heidegger sollen helfen, einer Hybris der politisch-philosophischen Vernunft entgegenzuwirken, die sich in Jürgen Habermas personifiziere. Das zentrale Gegensatzpaar, das die Fronten illustrieren soll, ist suggestiv. Revolutionäre Philosophie steht gegen den Reformismus. Freilich, die Philosophie von Jürgen Habermas ist bis ins Mark sozialdemokratisch; kein Begriff beschreibt sie besser, als der des Reformismus. Wer Zweifel am kritischen Potential dieser Regierungsberatungsphilosophie hegt, wird beim Lesen stillschweigend nicken. Aber der suggestive Bann der konstruierten Antithesis von Reform und Revolution streut Sand in die Augen. Keineswegs erscheint nämlich van Reijens eigene Position, die von ihm konstruierte Achse Heidegger-Benjamin als besonders revolutionär. Um die Entpolitisierung der Metaphysik geht es ihm. Was dadurch revolutioniert werden soll, bleibt sein Geheimnis.

Die detektivische Spurensuche nach einer Enträtselung dieser zentralen Intention führt nach Frankreich. Sowohl Benjamin wie Heidegger gehören zu den deutschen Wurzeln des französischen Poststrukturalismus. So motivieren sie van Reijens Einsatz im philosophischen Diskurs der Moderne. Er stellt sein Projekt revolutionärer Philosophie als Kritik einer Moderne vor, dem der Kultus der Autonomie, des technischen Fortschritts und der Linearität des Denkens und geschichtlichen Handelns heilig ist. In gewisser Weise kann er diese Kritikperspektive sowohl Benjamin als auch Heidegger nachweisen. Strukturell kommt ihrem Denken in Diskontinuitäten und Brüchen zweifellos etwas subversives zu. Ob man es revolutionär nennen darf, ist eine andere Frage.

Hier auf die Differenzierungen im Begriff der Moderne zu verzichten, die insbesondere Benjamin als kultureller Modernist und Kritiker der kapitalistischen Moderne eingeführt hatte, ist fatal. Physische Philosophie (Heidegger) oder antiphysische Philosophie (Benjamin), wie van Reijen selbst zu unterscheiden weiß, wäre ein Unterschied ums Ganze. Sollte es dem Autor also um eine Läuterung politischer Kämpfe vom Ballast falscher Harmonisierungen und normativer Verkleisterungen gehen, so sollte er nicht auf die Kritik des kruden Essentialismus verzichten, der Heideggers "Existenzialontologie" unterfüttert. Erst in dieser Kombination käme der Kritik der hybriden politischen Philosophie etwas von einem revolutionären Charakter zu. Weniger Schwarzwald - und dafür mehr Paris - wäre wünschenswert. Strukturalismus und Poststrukturalismus führen van Reijen dabei schon auf die richtige Fährte.

Bei seiner Untersuchung des revolutionären Denkens geht es van Reijen auch um seine eigene intellektuelle Biographie. Nicht umsonst geht er in der Einleitung von ihr aus, berichtet von seinem Studium in Freiburg und seiner intensivierten Benjamin-Rezeption seit den siebziger Jahren. In dem vorliegenden Buch bringt er die beiden Autoren, die ihn über Jahrzehnte beschäftigt haben, erstmals so deutlich zusammen. Und es besteht kein Zweifel: van Reijen ist ein hervorragender Kenner beider Denker. Er stellt sie sehr klar, vielfältig und durchaus auch einführend dar. Das Buch, im Jahr seines sechzigsten Geburtstages veröffentlicht, erscheint durch die biographische Komponente als ein Rückblick auf die Essenz eines vierzigjährigen akademischen Handelns. Es hat die bundesrepublikanische akademische Landschaft auf skeptische und subversive Weise mitbestimmt. Man darf hoffen, dass weitere Utrechter Impulse über die niederländische Grenze hinaus wirksam werden.

Titelbild

Willem van Reijen: Der Schwarzwald und Paris. Heidegger und Benjamin.
Wilhelm Fink Verlag, München
229 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3770532996
ISBN-13: 9783770532995

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch