Fast-Food vom 5-Sterne-Koch

Ingo Schramms Roman "Die Feigheit der Fische"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stellen Sie sich einmal vor, ein Fünf-Sterne-Koch fühlt sich von den Gourmet-Kritikern missverstanden und wechselt dann ins Fast-Food-Fach! Eigentlich unglaublich, doch eine ähnlich Wandlung hat der Schriftsteller Ingo Schramm durchgemacht. In der Vergangenheit tischte er seinen Lesern kopflastige Reflexionsprosa auf. Ob "Fitchers Blau" (1996), "Aprilmechanik" (1997) oder "Entzweigesperrt" (1998): Alle drei Werke strebten nach höheren literarischen Weihen, erwiesen sich aber bei der Lektüre als schwer verdaulich.

Nun hat Ingo Schramm nach eigenem Bekunden "Abschied vom postmodernen Barock" genommen. Fernab der feinen literarischen Küche wendet er sich nun der zum schnellen Verzehr bestimmten Prosa zu. "Das Internet verändert das Schreiben", hat der 38-jährige Ingo Schramm kürzlich verlauten lassen, doch sein Buhlen um eine möglichst große Zielgruppe (er hatte das geneigte Internet-Publikum am Entstehen dieses Romans partizipieren lassen) erweist sich als künstlerischer Flop. Keine "Schlieren", die in "Aprilmechanik" allgegenwärtig waren und die Wahrnehmung der Figuren noch erheblich vernebelten, trüben mehr die Blicke; jetzt ist alles glasklar, scharf konturiert und unzweideutig.

Der "neue Schramm" bevorzugt eine Art neorealistischen Erzählens, die - nicht zufällig - an TV-Endlosserien erinnert. Es ist deswegen kein Zufall, weil der Protagonist des Romans ein Schauspieler ist, der durch eine Rolle als Bildschirm-Kommissar zu respektabler Popularität gelangt.

Kurt Neulich, der Romanheld, begibt sich in einem Airbus von Paris nach Rom, wo die Dreharbeiten für eine neue Produktion abgeschlossen werden sollen. Irgendwo über dem Mittelmeer kommt es dann zu einem folgenschweren Zwischenfall, der Schramm als Handlungsauslöser dient: Der Airbus und ein russisches Jagdflugzeug entgehen nur hauchdünn einer Kollision. Schuld daran soll der Schauspieler sein, dessen tragbarer CD-Player die Bordelektronik des Airbus' durcheinander gebracht habe.

Wegen Gefährdung des Luftverkehrs droht der Hauptfigur zunächst ein Prozess und eine saftige Schadenersatzklage, doch im Nu löst sich der Vorwurf in der Luft auf; die Airline entschuldigt sich sogar bei Neulich mit der Begründung, dass es sich um "eine ungerechtfertigte Anschuldigung" gehandelt habe.

Und dann wird es richtig turbulent: Ingo Schramm macht aus seinem TV-Kommissar plötzlich einen misstrauischen Detektiv, der in einem Anflug von Derrick-Manier eine "Sauerei" hinter der Sache vermutet. Flugs dürfen sich auch noch ein Journalist, der glaubt, einer großen Enthüllungsstory auf den Fersen zu sein, eine Regieassistentin, die später aus Betroffenheit als Krankenschwester nach Afrika wechselt, ein Jagdflieger, der seinen Beruf an den Nagel hängt, ein Politiker, ein Wissenschaftler, eine Pilotin und noch viele Figuren mehr "kritisch" zu Wort melden.

Was von Ingo Schramm möglicherweise als Vielstimmigkeit und Perspektivenvielfalt intendiert war, verliert sich in einem ungeordneten Redeschwall aus Vermutungen, Unschuldsbeteuerungen, Andeutungen und Zufällen. Das Rezept für diesen Roman war denkbar einfach: Thrillerelemente, authentisch wirkende Dialoge mit wechselndem Personenensemble und eine Schicksalsprise in Form der Beinahe-Kollision in einen Topf zu geben und gut durchzurühren.

Herausgekommen ist allerdings nur literarisches Fast-Food aus der Feder eines selbsternannten Fünf-Sterne-Kochs, der sich stets missverstanden fühlt und gleich auf der ersten Seite seinem Unmut über die Kritiker freien Lauf lässt. Mit dem Feuilletonteil einer Tageszeitung lässt Ingo Schramm seine Hauptfigur die durchnässten Schuhe ausstopfen. Einigermaßen ratlos fragt man sich: Was machen wir jetzt mit diesem Roman?

Titelbild

Ingo Schramm: Die Feigheit der Fische.
Luchterhand Literaturverlag, München 2000.
400 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-10: 3353011595

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