Im Nirgendwo zwischen Referenz und Reverenz

Gilbert Adair hat den Schlüssel zum Turm

Von Nina SchmidtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nina Schmidt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Guy Lanterns Leben ist aus der Spur geraten. Seit dem tragischen Unfalltod seiner Frau, an dem er nicht ganz unschuldig zu sein scheint, beschleichen ihn Schuldgefühle. Traumatisiert durch dieses Ereignis wird Lantern zu einem vierzehnmonatigen Anstaltsaufenthalt gezwungen. Als geheilt entlassen begibt sich der Rekonvaleszent mit seinem blaßgelben Mini in die Bretagne, um dort seine Ferien zu verbringen. Dank eines Blitzschlages gerät er kurz vor seinem Reiseziel Saint-Malo in den zeitweiligen Besitz eines Rolls Royce. In Saint-Malo lernt er unter recht skurrilen Umständen die Frau des Rolls Royce Besitzers kennen und verliebt sich in sie. Während Noch-Ehemann Jean-Marc in England weilt, um seiner Beratertätigkeit für Kunstsammler nachzugehen, bildet sich eine spannungsreiche "ménage à trois" zwischen Lantern, Béatrice und Alexandre Liebermann alias Sacha. Sacha, Interimsliebhaber von Béatrice, hat sich aufgrund mangelnden Talentes von der Malerei auf das Erstellen von Expertisen verlegt und eine Monographie zur Malerei des 17. Jahrhunderts verfaßt. Psychologische Innenansichten dieses amourösen Dreigestirns stehen bei Adair freilich nicht im Vordergrund, vielmehr geht es um einen erst langsam sich ent- und zugleich auch verwickelnden illegalen Kunsthandel. Lantern, der auf den Leser ein wenig begriffsstutzig wirkt, enthüllt den von Sacha und Béatrice geplanten Coup zu spät und findet sich in der Rolle des Mittäters wider Willen wieder. Im Zentrum der Handlung steht der geplante Verkauf eines bislang als verschollen gegoltenen Gemäldes von Georges de La Tour. Der nahe London residierende Käufer Mr. Nasr, ein libanesischer Industrieller mit Sinn für Kunst, hat bereits Interesse bekundet, da sich aber die Übergabe des Gemäldes verzögert und Mr. Nasr Zweifel an der Seriosität seiner Geschäftspartner bekommt, bestellt er zwei "Aufpasser" auf den Kontinent. Unser Held sieht sich plötzlich in eine groteske Verfolgungsjagd verwickelt, die ihren Höhepunkt auf dem Grün eines Golfplatzes erreicht. Lantern entwischt zusammen mit Béatrice mit Not den Verfolgern und steuert damit gradlinig auf eine Katastrophe zu, die ihren fulminanten Schlussakkord in dem Atelier von Sacha auf dem Mont Saint-Michel findet, wo der Autor Fiktion und Realität im doppelten Sinne zusammenschießen lässt.

Gilbert Adair zeigt sich in diesem Roman ein weiteres Mal von seiner snobistischen Seite. Keine Gelegenheit auslassend, um sowohl im bildungsbürgerlichen Kanon als auch im Populärkulturellen zu plündern, verwebt Adair Bekanntes und Verwandtes zu einer postmodern wirkenden Kriminaltextur. Kräftig gegen den Strich gebürstet steht so erst am Ende des Romans das Tötungsdelikt, sonst Ausgangspunkt eines Kriminalromans. Auch die Hauptfigur ist nicht unbedingt genretypisch: Lantern, von Beruf Biograph und somit mit dem Entwirren und Ordnen von Lebensspuren befaßt, fungiert hier in Personalunion als Detektiv "sui generis" und Täter zugleich. Seinem Namen alle Ehre machend ist Lantern einerseits ein illuminierender Abgesandter der Ordnung, andererseits aber auch eine sich gut ins mystische "Chiaroscuro" der La Tourschen Bilderwelt einfügende Gestalt. Insgesamt also ein raffiniertes Spiel mit gezielten Grenzverletzungen innerhalb rigider Genregrenzen. Intertextuelle, intermediale oder interpicturale Verweise - allesamt als "uneigentliche" Fährten der Sinnerschließung ausgelegt - werden ebenfalls nicht ausgespart und geben uns einen nachdrücklichen Eindruck von dem distinguierten Geschmack des Autors. Einige Kostproben: einer von Mr. Nasrs entsandten Gaunern zitiert aus unersichtlichen Beweggründen ständig Passagen aus Marcel Prousts "Sodom und Gomorrha"; in einer Kellerbar, in der Lantern und Béatrice sich näher kommen, läuft im Hintergrund Poulencs "Les Biches"; eine Freudsche Fehlleistung macht aus dem bereits genannten ewigen Proust-Adepten Mr. Rieti eine Oper von Wagner, nämlich "Rienzi". Überhaupt ist Mr. Rieti ein Lieblingsobjekt Adairscher Charakterisierungskunst: "Niemandem glich Rieti stärker als einem unehelichen, unnatürlichen Abkömmling von Sibelius und Crowley". Lantern widerfährt ähnliches: bei einem Rundgang auf der Stadtmauer Saint-Malos gerät er in die Gesellschaft einer Reisegruppe Schwarzafrikaner und fühlt sich "wie jene einzelne weiße Praline, die in einer Schachtel voller gewöhnlicher dunkler bis zuletzt übrigblieb." Zu allem Überfluss läuft ihm wenig später an einer Ampel ein monströs dicker Mann (es ist Alfred Hitchcock) über den Weg.

Vielleicht dekuvriert Adair seine eigene Schreibweise am treffendsten in der Beschreibung der künstlerisch wertlosen Kreationen von Sacha: "Einem Künstler, dem technisches Flair zwar nicht fehlte, der jedoch, wie mir augenblicklich klar wurde, in bezug auf die hässliche ölige Struktur hoffnungslos im Bann von Dalí stand, in bezug auf den Inhalt in jenem von Magritte - das heißt in bezug auf die Anhäufung aufgedonnerter Ideen und Gemeinplätze eines abgegriffenen Surrealismus, mit dem der Künstler vergeblich das Fehlen eines echten und persönlichen Themas zu kaschieren versucht hatte."

Mag sein, dass die spätmoderne Ästhetik ge(kenn)zeichnet ist von Selbstreferenz, dies bedeutet aber in einigen Fällen, daß luxurierende Manierismen sich zu einer kitschigen Arabeske verdrehen, die feinsinnigen Intellektuellen zu einem vordergründigen Kunstgenuß inklusive Bauchpinselei verhelfen. Letztlich unterscheidet sich aber diese schichtspezifisch produzierte Literatur kaum von einem ebenso kurzweiligen Edgar Wallace. Gewiss, Adair kramt spitzfindig im "tool kit" des Kriminalromans und der Ikonographie. Einige Motive setzt der Autor durchaus gekonnt in Szene: z.B. im furiosen Finale die emblematisch irrlichternde Kühlerfigur des Rolls-Royce ("Spirit of Ecstasy") oder auch die "Schießerei" auf dem Golfplatz, die sich aus der Sicht des Ich-Erzählers hinterher lediglich als Beschuß mit Golfbällen entpuppt. Trotzdem steht der Leser nach Ende der Lektüre irgendwie mit leeren Händen da und fragt sich, warum uns Adair diese Geschichte erzählen musste. Aber dieses Rätsel ist bereits ein anderer Krimi.

Titelbild

Gilbert Adair: Der Schlüssel zum Turm.
Edition Epoca, Zürich 2000.
174 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3905513188

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