So geht man nicht mit Freunden um

Saul Bellows Roman "Ravelstein"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich war mit Allan Bloom befreundet, er hat mich sogar gebeten, einmal seine Biografie zu schreiben - aber das Eigentliche war für mich, einen in sich stringenten Text herzustellen. Meine Ambition war, aus Splittern der Welt eine eigene Welt zu schaffen", erklärte Saul Bellow in einem Interview über seinen Roman "Ravelstein", der bereits im Frühjahr in den USA erschienen ist und dort für viel Wirbel gesorgt hat.

Dabei stand nicht die Frage im Vordergrund, ob Bellow einen Schlüsselroman vorgelegt hat, sondern die Debatte kreiste um Begriffe wie Moral und Ehre. Stein des Anstoßes war, dass Bellow seinen 1992 verstorbenen Freund Allan Bloom posthum (und sehr wahrscheinlich gegen dessen Willen) als Schwulen geoutet und Zweifel an der offiziell verlautbarten Todesursache gesät hat. Folgt man dem Roman, war es wohl nicht "Leberversagen", sondern Aids. Saul Bellow hatte 1987 dem Bloom-Buch "The closing of the american mind" (eine Abrechnung mit der amerikanischen Gesellschaft) mit seinem Vorwort den Weg zum Bestseller geebnet und den Autor beinahe über Nacht zum Millionär gemacht.

Das Entstehen dieses Romans kann man (je nach Blickwinkel) aus moralischen Gründen ablehnen oder begrüßen, doch für den Leser steht letztlich der Text als künstlerisches Produkt im Vordergrund; auch die Frage, wie stark sich Fakten und Fiktion mischen, hat nur nachrangige Bedeutung. Es dreht sich um zwei befreundete Intellektuelle - einen Philosophieprofessor namens Ravelstein und den Schriftsteller Chick. Beide verbindet ein starker Mitteilungsdrang. Sie philosophieren über Gott und die Welt, aber dies geschieht bei Bellow - trotz des betont intellektuellen Vokabulars - in einer oberflächlichen Art, die an Tresengespräche über Fußball, Wetter oder Urlaub erinnert.

Immer wieder spürt man ein ungutes Gefühl bei Bellows Ravelstein-Schilderung. Das Verhältnis Chick-Ravelstein ist durch ein ständiges Auf und Ab geprägt. Neid scheint eine große Rolle zu spielen, wenn der Nobelpreisträger von 1976 das sündhaft teure Leben des Wissenschaftlers beschreibt: dessen Vorliebe für italienische Maßanzüge, Luxushotels und kubanische Zigarren. Noch vom Sterbebett aus soll Ravelstein einem seiner jungen Liebhaber eine Luxuslimousine gekauft haben.

Nein, diese Form des ausschweifenden Lebens gestattet Chick seinem Freund nicht. Gleichwohl scheut er sich nicht dessen einstige Lieblingsstudentin Rosamund zur Frau zu nehmen, nachdem ihn Ravelstein gedrängt hat, sich von seiner untreuen und allzu emanzipierten Ehefrau Vela zu trennen.

Wie bei Bellow üblich spielen die Frauen wieder nur Komparsenrollen. Intelligent müssen sie schon sein, um den Männern als Stichwortgeber zu dienen, eigenes geistiges Profil dürfen sie allerdings nicht entwickeln. Vela ist promovierte Physikerin, aber anscheinend naturwissenschaftlich-kühl, während die junge Philosophin Rosamund ihre Vorzüge als liebevolle Krankenpflegerin unter Beweis stellen kann, als sie Chick von einer Fischvergiftung kuriert.

So entsteht ein doppeltes Leidensszenario: auf der einen Seite der aidskranke Ravelstein, auf der anderen Seite der in Selbstmitleid zerfließende jüdische Schriftsteller Chick, der sich von seiner Vergiftung erholt und trotz seines hohen Alters wieder auf die Beine kommt.

Dem eigentlichen Thema, Ravelsteins tödlicher verlaufender Aids-Erkrankung, weicht Bellow aus. Mehr als vage Andeutungen erlaubt sich der angeblich so weltoffene Autor nicht, und Einblicke in die Psyche des dahinsiechenden Freundes sind äußerst rar. Stattdessen begegnen wir allerlei (und zumeist schon bekannten) biografischen Marginalien aus Bellows bewegter Vita, die mal mehr und mal weniger getarnt in die Handlung eingeflochten werden. Bellows Roman liest sich wie eine missglückte, moderne Form von "Narziß und Goldmund": Chick als ratiogesteuerter Narziß und Bloom als lebensfroher, den Sinnenfreuden zugewandter Goldmund.

Am Ende glaubt man als Leser sogar, dass Chick seinen verstorbenen Freund Ravelstein beneidet: um den mysteriösen Tod, um den Reichtum, den er mit vollen Zügen genossen hat und wohl noch viel mehr um sein Bestsellerbuch "The closing of the american mind". Eine solche öffentliche Aufmerksamkeit, die weit über den Kreis des Lesepublikums hinausreichte, hat Bellow zuvor nie erfahren. Hat der durch den Erfolg des Freundes in seiner Eitelkeit gekränkte Nobelpreisträger selbstsüchtig Rache geübt?

In diese Richtung verweist jedenfalls auch der Bellow-Satz aus einem Interview mit der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit": "Ein wenig nehme ich mir dieses posthume Outing immer noch übel." Mit wirklichen Freunden geht man so nicht um.

Titelbild

Saul Bellow: Ravelstein.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000.
272 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3462029193

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