Warum kotzt ottos mops?

In memoriam Ernst Jandl: Interpretationen zu seinen Texten

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seine Klassiker "lichtung" und "ottos mops" kennt jedes Kind. Obwohl Ernst Jandl einen angestammten Platz in deutschen Lesebüchern inne hat, werden seine Gedichte im Deutschunterricht kaum besprochen. Vielleicht ist das gut so, denn er wäre nicht der erste Dichter, den man durch gnadenlose Textsektion entstellt und damit den Schülern auf ewig vermiest hätte. In der Schule ist die Lyrik Ernst Jandls oft nur Lockerungsübung, eine Quasientschädigung für die übrigen Interpretationsqualen, und die Beschäftigung mit "ottos mops" beschränkt sich meist auf den Haha-Effekt. Warum eigentlich? Wird Jandl unterschätzt, ist er zu provokant oder schlichtweg zu populär? Oder fehlt den Pädagogen etwa das richtige interpretatorische Rüstzeug? Denn wie der Literaturwissenschaftler Michael Vogt im Vorwort zu seinem Interpretationsband "stehn JANDL gross hinten drauf" feststellt, sind Jandls Texte von der Literaturwissenschaft bislang weitgehend unbeachtet geblieben; und das trotz (oder wegen) seiner für Lyrikerkreise ungewöhnlich großen Popularität. Vielleicht liegt ja in diesem Buch die Antwort auf Frage, warum ottos mops eigentlich kotzt?

Bevor die "heruntergekommene Sprache" ins Zentrum seiner Texte rückte, schrieb Jandl, von Brecht beeinflusst, "traditionelle Gedichte", die aufgrund ihrer oberflächlichen Simplizität und Verständlichkeit scheinbar keiner weiteren Interpretation bedürfen. Die Germanistin Sabine Markis sieht hierin eine weit verbreitete Fehleinschätzung und zeigt an dem Gedicht "odyss bei den polsterstühlen" (1952), "dass auch seine ,traditionellen Gedichte' durchaus vielschichtig sind und nicht ohne weiteres als ,Fingerübungen' des experimentellen Lyrikers abgetan werden können." Aufschlussreich ist das gewählte Gedicht deshalb, weil es die poetologische Basis der später folgenden experimentellen Texte hervorhebt: schon allein die im Titel des Gedichts auftretende Verkürzung des Namens "Odysseus" zu "odyss" evoziert eine Dialektik zwischen weltliterarischer Tradition und gleichzeitigem Bruch mit ihr. Die Interpretin bescheinigt diesem frühen Text eine "nahezu programmatische Funktion". Eine überkommene Literatur, eine "heruntergekommene Tradition" korrespondiert mit der "heruntergekommenen Sprache", die Gegenstand der folgenden, am Material orientierten Gedichte sein wird.

Die Auseinandersetzung mit der Tradition spielt auch in Jandls Gedicht "fortschreitende räude" von 1957 eine Rolle. Der Anfang "him hanfang war das wort hund das wort war bei gott" ist ein klarer literarischer Bezug auf den berühmten Beginn des Johannesevangeliums, und Jandl wurde unter Blasphemieverdacht gestellt. Durch Hinzufügung des Lauts "h" wird die Konnotation "räudiger Hund" konkretisiert. Die im Verlauf des Gedichts zunehmende Verfremdung des biblischen Originals bis hin zur Bedeutungsverschiebung der Begriffe "Gott", "flott" und "Fleisch" zum Kunstwort "flottsch" wird von der Interpretin Renate Kühn als "fortschreitendes Experimentieren" bezeichnet. In einer überraschenden Schlussfolgerung wird Jandl vom Blasphemieverdacht freigesprochen: "Zum einen verringert Jandl den Wert des Prätexts, setzt ihn herab, indem er ihn ,auf den Hund bringt'. Zum andern führt er den Prätext - der ursprünglichen Bedeutung von ,reducere' entsprechend - aber auch buchstäblich zurück, und zwar auf das richtige Maß, d. h. auf das, was ,vor' dem Wort ,war'" nämlich der Atem, materialisiert im Hauchlaut "h". So zumindest die literaturwissenschaftliche Erklärung. Man kann aber davon ausgehen, dass sich Jandl durchaus des Provokationspotentials seines Textes bewusst war, und vielleicht eine minder ätherische Motivation den "hund" mit dem Bibeltext verschmelzen ließ.

Ralph-Rainer Wuthenow plädiert in seinem Kapitel "Deutsch als Fremdsprache" dafür, die Texte Jandls mehr zu hören als zu lesen, am besten natürlich vertont vom Meister selbst, der als umjubelter Rezitator dem "schtzngrmm" wie kein anderer Leben und Tod einhauchen konnte. Das Lautlesen der in einer Art Gastarbeiterdeutsch verfassten Gedichte, auf die sich Wuthenow bezieht, lässt die Frage aufkommen, "ob wir des Deutschen noch einigermaßen ,mächtig' sind". Wuthenow versteht Jandls Lyrik als eine Art subversiven Sprachunterricht, der eingreift, weil die Sprache "so fürchterlich beschädigt ist". Dort, wo das Leben unmöglich geworden ist, ist auch die Sprache unmöglich geworden, und in der Konsequenz wird selbst die Poesie zur Fremdsprache.

Der Interpretationsband sollte eigentlich Ernst Jandls 75. Geburtstag gewidmet sein, doch durch seinen überraschenden Tod im Juni dieses Jahres wurde das Buch zu einer Würdigung in memoriam. Die einzelnen Interpretationen folgen an ausgewählten Beispielen der Werkbiographie, während die letzten drei Kapitel die Beschaffenheit der Jandlschen Poetologie, ihrer Entwicklungslinien und Konstanten zum Gegenstand haben. Als hätte der Herausgeber Vogt die vorwurfsvollen Mienen geplagter Schüler vorausgeahnt, stellt er dem Band Bertolt Brechts Wort "Über das Zerpflücken von Gedichten" voraus: "Zerpflücke eine Rose, und jedes Blatt ist schön". Jandls Gedichte wollen also zerpflückt sein, ohne ihre ursprüngliche Attraktivität zu verlieren. Das ist im Großen und Ganzen gelungen, da den einzelnen Autoren trotz des akademischen Anspruchs ihres Unterfangens nie die Experimentierfreude und eigentümliche Leichtigkeit der Gedichte aus dem Blickfeld geraten sind. Ganz profan im Übrigen die Auflösung der eingangs gestellten Frage nach den Ursachen für das Erbrechen des Hundes. Ernst Jandel gibt selbst darüber Auskunft, wie es zu der o-lastigen Wörtersammlung "ottos mops" gekommen ist:

"[W]as sollte man mit so vielen Wörtern mit o nun anfangen? Gar nichts hätte man anfangen können, wenn sich nicht, wie von selbst, einige davon zu bewegen begonnen hätten und aufeinander zugekommen wären und gesagt hätten: wir hier, wir passen doch zusammen, wir können miteinander etwas anfangen, wir können miteinander eine kleine Geschichte anfangen; fangen wir doch eine Geschichte von 'ottos mops' an. Das haben sie getan, und so ist dieses Gedicht entstanden."

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Michael Vogt (Hg.): "stehn Jandl gross hinten drauf". Interpretation zu Texten Ernst Jandls.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2000.
217 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3895282847

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