Und täglich grüßt der Tod

Düstere Aussichten für das Jahr 2001

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sie suchen noch einen Kalender für das Jahr 2001 und möchten sich nicht mit dem Werbegeschenk zufrieden geben, das man Ihnen als Stammkunde der Apotheke XY zum Jahreswechsel überreicht hat? Als Literaturfreund oder Literaturfreundin werden Sie da kaum in Verlegenheit geraten: Sie ordern kurzerhand Reclams preiswerten "Literaturkalender", den bei "Spektrum des Geistes" verlegten "Literaturkalender 2001" oder den mit 32,- DM doppelt so teuren Namensvetter aus dem Aufbau-Verlag. Unter dem Titel "Literarischer Kalender 2001" präsentiert der S. Fischer Verlag seine Jahresübersicht (Untertitel: "Reisen mit der Literatur"). Betuchtere Zeitgenossen greifen zu "Kürschners Deutschem Literaturkalender 2000/2001", der mit fast 600,- DM teuersten Ausgabe.

Wer sein Anliegen dem Buchhändler vorträgt, ohne zuvor ausdrücklich seine Interessen zu bekunden, darf sich auf etwas gefasst machen. Das Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB) wartet unter den Stichwörtern "Kalender" und "2001" mit fast fünfhundert Titeln auf. Was aber, wenn Sie weder zu den eingefleischten Fans von Verona Feldbusch, Sigfried & Roy oder den Schumi-Brüdern gehören? Wenn Sie Kalendern zu Städten, Feng Shui, Kochrezepten und Rosenzucht ebenso wenig abgewinnen können wie Exemplaren, auf deren Seiten sich Tiere, Comicfiguren, Indianer, Künstler oder Musikgruppen tummeln? Wenn Ihnen der Anblick von Fußballvereinen, Ikebana, Motorrädern, Windmühlen, Leuchttürmen ein Graus ist und Sie Astrologie schlicht für Unfug halten?

Dann werfen Sie mal einen Blick auf den "Schwarzen Kalender 2001". Mit diesem Taschenkalender, heißt es in der Pressemitteilung, seien wir gegen die furchtbarsten Anfechtungen des Jahres 2001 gefeit. Angesichts der im Sinne einer Überbietungslogik aufgebotenen Schreckensmeldungen verblassen die Heimsuchungen der Wirklichkeit: "Fürchten Sie weder die Finsternisse bevorstehender Zeiten noch die schwarzen Seelen Ihrer Mitmenschen und deren dunkles Trachten. Mit diesem Kalender können Sie stets auf noch düsterere Sternstunden des Bösen verweisen, auf noch größere Untaten, auf noch abgründigere Abgründe."

Was der "Schwarze Kalender", der seinen Benutzer tagtäglich mit schrecklichen Bildern, bestürzenden Nachrichten und blutigen Jubiläen schockiert, den nassforschen 'Jahresplanern' voraus hat, möchten Sie jetzt erfahren? Womöglich die Einsicht, dass die durch die Chronologie des Kalenders genährte Hoffnung eines wie auch immer gearteten 'Vorankommens' auf einer handfesten Illusion beruht. Die Einträge zu den einzelnen Tagen lassen begründete Zweifel an unserer mopsfidelen Realitätstüchtigkeit aufkommen und sind Rubriken mit so entmutigenden Titeln wie "Seltsame Todesfälle", "Ungeklärte Katastrophen", "Originelle Selbstmorde", "Zur falschen Zeit am falschen Ort" zugeordnet.

Eigentlich unnötig, dass die Kalendermacher die schwarzen Jahrestage, die manchmal betont lakonisch, manchmal mit der Nüchternheit einer dpa-Pressemeldung beschrieben werden, mit bunten Comicbildchen garnieren. Sicher, schwarzer Humor lässt sich durch den betont angstfreien Umgang mit Sterben und Tod erzeugen. Dazu gehört allerdings auch, dass das Bedrohende nicht zu weit verharmlost wird und der Balanceakt zwischen Lachen und Grauen gelingt. Geglückter scheint mir der Eintrag zum 5. August: "Ein tollkühner Mann in einer liegenden Kiste. Gert Fröbe, Schauspieler, stirbt." Mit einem durchdachteren Textkonzept und einem Layout, das weniger an die Montagetechnik von Schülerzeitungen erinnerte, dürfte der "Schwarze Kalender 2002" sogar ein Erfolg werden.

Titelbild

Rolf Lonkowski / Andreas Prüstel: Und täglich grüßt der Tod. Der schwarze Kalender 2001.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2000.
160 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 3359009878

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