"Flow" als höchste Form emotionaler Intelligenz?

Zu Mihaly Csikszentmihalyi "Lebe gut!"

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man denke sich eine beliebige Fabrik. Mit einer riesigen schmutzigen Fertigungshalle. Alle Arbeiter sehnen den Feierabend herbei. Ständig schielen sie nach der Uhr. Abends dann klappern sie die benachbarten Amüsierbetriebe ab. Alle? Nein, nicht alle. Joe ist anders. Joe hat gelernt, jeden einzelnen Gegenstand in der Fabrikhalle, vom Kran bis zum Computer, reparieren zu können. Nichts macht ihm so großen Spaß, wie defekte Maschinen auseinander zu nehmen, den Fehler zu suchen und die Maschine wieder zum Laufen zu bringen. Den anderen Arbeitern ist Joe zwar etwas unheimlich, aber alle haben sie großen Respekt vor ihm. Joe scheint ein rundum glücklicher und zufriedener Mensch. Warum?

Weil er, so die Erklärung Mihaly Csikszentmihalyis (sprich: Tschick Sent Mihalji), gelernt hat, sein Tun in flow-Erleben umzuwandeln. Das flow-Phänomen erforscht der amerikanische Psychologe seit über 20 Jahren in immer neuen Büchern. Mittlerweile hat er seinen Beitrag zur empirischen Psychologie fast schon zu so etwas wie einem Weltbild aufgeblasen, zu einer Glücksformel, die er in seinen neuen, zunehmend populärer gehaltenen Büchern nicht müde wird anzupreisen. So etwa in seinem neuen Ratgeber "Lebe gut!", in dem Csikszentmihalyi zu zeigen versucht, wie man das Ideal eines guten, glücklichen, erfüllten Lebens erreicht. Die empirische Wissenschaft soll, Hand in Hand mit den Weisheiten früherer Denker und Religionsgründer, der traditionellen philosophischen Ethik aushelfen.

Was aber ist flow? Flow ist so etwas wie der Idealzustand des Handelns. Gewöhnlich tun wir etwas und denken dabei an zig andere Dinge. Gerade die zahllosen Routineaufgaben, die unseren Alltag ausmachen, sei es im Haushalt oder im Beruf, bringen es mit sich, dass die psychische Energie nur zu einem kleinen Teil von der zu erledigenden Aufgabe absorbiert wird. Der Rest fällt der "psychischen Entropie" anheim. Soll heißen: Während unsere Handlungen automatisch-mechanisch ablaufen, denken wir an dies oder jenes, haben vielleicht plötzlich Schuldgefühle, Zweifel oder Ängste und sind alles, nur nicht eins mit uns und unserem Tun.

Gelegentlich aber ist es genau umgekehrt. Wir handeln - und soweit wir überhaupt dabei denken oder fühlen, ist alle psychische Energie aufs Handeln ausgerichtet. Vermutlich kennt jeder diesen Zustand: Beim Tanzen etwa. Beim Malen eines Bildes. Oder beim Skifahren. Aber auch das Autofahren erleben viele als flow.

Das flow-Erlebnis wurde schon von vielen Mystikern, Künstlern, Wissenschaftlern und Sportlern beschrieben. Csikszentmihalyis Beitrag zu seiner Erforschung besteht darin, zu untersuchen, welche Tätigkeiten es vor allem sind, die flow-Erlebnisse provozieren. Dabei zeigt es sich, dass flow-Tätigkeiten eine Reihe von typischen Merkmalen beinhalten. Beispielsweise erlebt der Handelnde stets ein sofortiges Feedback darüber, ob seine Handlung richtig war. Die Handlung selbst lässt einem keine Zeit, über anderes nachzudenken, sondern absorbiert die Aufmerksamkeit ganz.

Vor allem sind flow-Aktivitäten zwischen über- und unterfordernden Tätigkeiten angesiedelt, dass heißt, das Anspruchsniveau ist so hoch, dass der Handelnde die Tätigkeit "gerade noch" schafft und Erregung und Kontrolle ein mittleres Niveau erreichen. Unterforderung würde Langeweile und Monotonie bedeuten, Überforderung Angst. Im flow ist für derartige Gefühle kein Platz. Man kann nicht einmal sagen, dass man dabei glücklich ist. Glücklich ist man erst hinterher - und dann empfindet man meist auch ein Gefühl großer Dankbarkeit.

Ausgehend von diesen Analysen, untersucht Csikszentmihalyi die Bereiche, in denen der Gegenwartsmensch seine Zeit verbringt, also Beruf, Freizeit und erhaltende Tätigkeiten wie Waschen oder Hausarbeit, und gibt Tipps, wie man es schafft, möglichst viel flow in seinem Leben zu erreichen. Was dabei herauskommt, ist zwar nicht gerade neu oder überraschend, aber zweifellos richtig: Beispielsweise ist Fernsehen eine extrem flow-feindliche, da passive Tätigkeit; besser, so Csikszentmihalyi, man sucht sich Hobbys und dazu noch Freunde und Gleichgesinnte, um eine passive Freizeit in sozialer Isolation in eine aktive Freizeit in glückbereitender Interaktion umzugestalten. Überhaupt sollte man, wie der eingangs vorgestellte Joe, versuchen, seine Alltags- und Routinehandlungen mit Sorgfalt und Bewusstheit zu erledigen. Csikszentmihalyis Ideal ist der spielerische Umgang mit diesen Tätigkeiten, der sie als Herausforderung begreift und Lust und Kreativität noch, überspitzt gesagt, aus dem Geschirrspülen schöpft. Oder, in den Worten eines buddhistischen Weisen: "Handle stets so, als hinge die Zukunft des Universums von deinem Tun ab, und lache dabei über dich selbst, weil du glaubst, dass irgend etwas, was du tust, irgendeinen Unterschied machen wird."

Auch wenn für David Goleman die Fähigkeit, sich auf flow-Erlebnisse einzulassen, die höchste Form der "emotionalen Intelligenz" ist - das flow-Weltbild hat seine Grenzen. Der Fließbandarbeiter, der sich erfolgreich vom allmählich verblödenden zum kreativ-glücklichen Fließbandarbeiter gemausert hat, dürfte kaum noch einen Anlass haben, seine Fließbandarbeiterexistenz gänzlich aufzugeben und sich eine womöglich sinnvollere Tätigkeit zu suchen. Und dann ist flow alleine, wie Csikszentmihalyi zugibt, kein Garant für die ethische Richtigkeit des Tuns: Vielmehr ist dieses Erlebnis in ethischer Hinsicht völlig neutral: "Kriegsveteranen sagen, sie hätten noch nie einen so intensiven flow empfunden, wie hinter einem Maschinengewehr an vorderster Front. Als der Physiker Robert J. Oppenheimer an der Entwicklung der Atombombe arbeitete, schrieb er geradezu pathetisch, er versuche, ein 'süßes Problem' zu lösen. Wie aus allen bekannten Berichten zu schließen ist, hatte Adolf Eichmann Freude an der Arbeit an den logistischen Problemen, die mit dem Transport der Juden in die Vernichtungslager zusammenhingen." Die Freude am eigenen Tun ist, wie Csikszentmihalyi richtig feststellt, kein ausreichender Grund dafür, etwas zu tun.

Titelbild

Mihaly Csikszentmihalyi: Lebe gut! Wie Sie das Beste aus Ihrem Leben machen.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1999.
228 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3608934553

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