Lehren aus Sydney
Die "Kulturbetrieb"-Ausgabe der österreichischen Zeitschrift "Wespennest"
Von Frank Müller
Das renommierte österreichische Magazin "Wespennest" erfreut seine Leser vierteljährlich mit Texten bekannter Autoren sowie mit literarischen Neuentdeckungen. Dass dabei der Horizont der vorgestellten Kulturlandschaften nicht am Grenzbaum endet, verdeutlichten im letzten Jahr Themenschwerpunkte zur niederländischen oder polnischen Literatur. Neben einem literarischen, kunsttheoretischen oder politischen Schwerpunkt finden sich in jeder Ausgabe unter dem Signet "Wiener Portrait" Beiträge von und über Kulturschaffende aus allen Bereichen. Eine Augenweide ist die Fotoebene des Fotografenduos Öhner/Kraller, die die betreffende Person gewissermaßen in Fleisch und Blut aus dem Heft auferstehen läßt. Darüber hinaus bietet jedes Heft auf 120 großformatigen und typografisch angenehm zurückhaltenden Seiten Essays und Polemiken, ergänzt durch literaturkritische Hinweise auf "brauchbare Bücher". Einen ersten Eindruck dieser Vorzüge vermittelt die einschlägige URL wespennest.at.
Mit dem Standort Österreich mag eine gewisse Vorliebe für produktives und unkonventionelles Querdenkertum, "Ironie" (so das Schwerpunktthema der Nr. 119) und die Spielräume des Unernstes zusammenhängen. In der aktuellen Ausgabe untersucht Ulrich Horstmann die letzte, gemeinhin als tragisch apostrophierte Lebensphase Oscar Wildes und entlarvt sie als Teil eines biografischen Gesamtkunstwerks. Frank Müller schlägt unter der Überschrift "Im Reich der Dinge" eine 'apokalyptische' Lesart des "Manufactum"-Katalogs vor. Und Kathy Laster und Heinz Steinert retten den Sinn der olympischen Spiele durch dessen Verkehrung: "Es ist bedauerlich, dass die Wirtschaft zahlt und gleichzeitig alles 'Kommerzielle' als Gefährdung und Korruption des edlen Grundgedankens der Veranstaltung dargestellt wird. [...] Die ganz einfache, aber entscheidende Neuerung wäre es, die Teams nicht nach Nationen zusammenzustellen, sondern nach den Firmen, von denen sie finanziert werden."
In "Wespennest" dominiert ein lustbetont-provokanter, niemals aber leichtfertiger Ton im Umgang mit der Kultur. Der Ruf nach dem akademischen Kammerjäger - vergeblich. Es 'sticht', wenn Rudolf Burger die Möglichkeit einer "moralischen Militärintervention" erwägt, es sticht, wenn György Dalos die Frankfurter Buchmesse 1999 als "erfolgreiches Fiasko" würdigt. Es sticht ebenso, wenn Michael Rutschky den Sachverhalt des kontingenten Unglücks gegen seine sei's psychoanalytische, sei's geschichtsphilosophische Sinndeutung in Schutz nimmt. Lothar Baier, der über das Schicksal seiner wichtigen Anthologie "Anders schreibendes Amerika" (vgl. Doris Klein in literaturkritik.de 2000-06-05.html) berichtet und damit den Blick für die Untiefen und Fallstricke des Kulturbetriebs schärft, hat die 100. Ausgabe von "Wespennest" 1995 wie folgt kommentiert: "Die Existenz des 'Wespennest' bedeutet, von Deutschland aus gesehen, zuweilen auch einen intellektuellen Trost." Was er damit meint, das finde jeder selbst heraus.