Eros, Kälte und Verbrechen
Walter Serner als emotionsloser Erzähler betrachtet
Von Lutz Hagestedt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseFec, der Hochstapler, und Bichette, die Edelnutte, sind am Ende. Sie kommen allein nicht mehr zurecht und beschließen, als Paar weiterzumachen. Einzige Bedingung ihrer Allianz: sie soll ohne Liebe sein ("bis dass der Tod sie scheidet...").
Gesagt, getan: Mit neuem Elan fungiert Bichette als Lockvogel, während Fec die Rolle des gehörnten Liebhabers übernimmt und Bichettes Kunden erpresst. Doch bald schon kommt es, wie es kommen muss: Die Liebe ist stärker als alle Vorsätze. Denn obwohl sich Fec und Bichette alle Gefühle verboten und die Liebe aus ihrer Beziehung verbannt haben, ist plötzlich echte Eifersucht im Spiel, wird aus dem Spiel Ernst. Fec beginnt um Bichette zu werben, und Bichette erliegt Fecs Ausstrahlung - und Potenz.
Walter Serner, Dadaist, Erzähler, Bonvivant, Reisender, hat alle seine Geschichten auf der Grenze von Eros, Kälte und Verbrechen situiert. Seine Texte wirken illusionslos, lapidar, kalt, seine Figuren bevölkern die unwirtliche Halbwelt der Frühen Moderne. Es sind kleine Schurken und billige Schlampen, erfolglose Künstler und anämische Morphinisten, immer auf der Suche nach einem Aufriss oder einer günstigen Gelegenheit zum "Bruch". Sie sprechen ein Kauderwelsch aus Hochdeutsch und Argot, dem schnoddrig klingenden Ganovenjargon, der die gesprochene Sprache einerseits bereichert, andererseits reduziert auf die Botschaft, die Losung, die Parole, das Kennwort. Kommunikation ist hier nichts Lustvolles, sie dient der stoßartig vorgetragenen Absprache, dient zwielichtigen Zwecken wie der Verständigung beim Schmierestehen, dem Schachern beim Hehler, der Erpressung des Freiers. Fast undenkbar scheint es da, lustvoll zu sprechen, beinahe unmöglich, etwas von Herzen Kommendes zu sagen.
Serners vielleicht berühmtester Text, das Dada-Manifest "Letzte Lockerung" (1918, EA 1920), wirkt noch heute aggressiv und kalkuliert, ohne "jeden Hautgout einer eventuellen Moralität". Serner gehört zu den Gründungsvätern von Dada, er lebte zur Zeit des "Großen Krieges", wie es damals hieß, in Zürich, dem Dorado der Kriegsgegner, und er war federführend mit dabei, als sich Dada im Frühjahr 1916 "selbst gebar". Eines der wenigen Zeugnisse aus dieser Zeit stammt aus der Hand des Malers Christian Schad (1894 - 1982). Schad war zwölf Jahre lang eng mit Serner befreundet, er teilte zeitweise die Wohnung mit ihm (und wohl auch die Frau), er schuf diverse frühe Serner-Porträts, darunter einen Holzschnitt (erschienen im zweiten Heft der Zeitschrift "Sirius"), sowie eine Serie sogenannter "Schadographien", und er war dabei, als ein Teil von Serners erzählerischem Werk entstanden ist, darunter die Kriminalgrotesken "Zum blauen Affen".
"Relative Realitäten", Schads "Erinnerungen um Walter Serner", sind erst 1971 niedergeschrieben worden und als Nachwort zur "Tigerin" erschienen. Sie umfassen die Jahre 1916 bis 1927, Serners Haupt-Schaffenszeit. In Zürich trifft man auf Hugo Ball und die Morphinistin Emmy Hennings, auf Tristan Tzara und André Breton, auf Walter Mehring und Laban, den Tänzer. Doch die deutschen Exilanten und die europäische Avantgarde sind in der Schweiz nicht gern gesehen: Den einen gelten sie als refraktäre, verfemte Gesellen, den anderen als Feiglinge und Kriegsdienstverweigerer von "vaterlandsloser" Gesinnung. Die bürgerliche Presse beobachtet mit Argwohn und Zurückhaltung die mitunter wüsten Auftritte der Künstler und Künstler-Darsteller, und nur vereinzelt gibt es ernsthafte - dann sogar lebhafte, teils sachliche, teils kontroverse - Auseinandersetzungen mit dieser neuen (Anti-) Kunst. Wie Schad berichtet, war die wirkliche Zahl der an Dada Interessierten nur sehr klein. Seine Erinnerungen wurden unter dem Eindruck der Serner-Forschungen Thomas Milchs überarbeitet und aktualisiert und liegen jetzt als Einzelpublikation im Maro Verlag vor.
In diesem Klima der Ablehung oder der Indifferenz schrieb Serner seine emotionslosen, fast unterkühlt wirkenden Geschichten und Manifeste. Seine Figuren, denen außer der Phrase und dem Argot kaum Rede, schon gar nicht Eloquenz zugestanden wird, haben folglich auch keine Erfahrung darin, innere Zwiesprache zu halten. Dem Hochstapler Fec in Serners Erzählung "Die Tigerin" wird dies schmerzlich bewusst, als es schon zu spät ist, als er seine Bichette bereits verloren hat und in die tödliche Laufbahn einer Kugel gerannt ist. Fec stirbt noch vor dem Eintreffen der Ambulanz.
Die schmale Erzählung "Die Tigerin", 1925 erschienen, gilt als der Höhepunkt in Walter Serners Œuvre. Es ist ein Werk, das den Dauerfrost der Demimonde beschwört und evoziert, die illusionslose Kälte einer Welt, in der Gefühle Berechnung sind oder Luxus. Doch ebenso charakteristisch für diesen (mittel-) großen Erzähler sind die Kurzerzählungen aus der Frühen Moderne, die "hahnebüchenen Geschichten", wie er sie nannte, "Zum blauen Affen", "Der elfte Finger", "Der Pfiff um die Ecke", "Die tückische Straße". Man kann dem Goldmann Verlag nicht genug dafür danken, dass er sie in so schöner, preiswerter Form wieder zugänglich gemacht hat.
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