Wer meine Nähe sucht, dem ist nicht zu helfen

Perikles Monioudis findet Schönheit in Berlin

Von Eva LeipprandRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Leipprand

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Berlin klassisch, in griechisches Licht getaucht. In seinem neuen Roman betrachtet Perikles Monioudis, Schweizer Autor mit Wohnsitz Berlin, die Stadt mit den Augen seiner Herkunft. Anders und seltsam schön bietet sich die deutsche Metropole dem fremden Blick. Herzstück des klassischen Berlin ist das Pergamonmuseum, wo sich weit um den Saal der Parthenonfries zieht und die Statue der Athene, in pentelischen Marmor gehauen, groß und still ins Leere blickt. Aber auch draußen, auf Straßen, Plätzen und Brücken, stehen Statuen, ragen Säulen auf. Das 19. Jahrhundert hat den Stil der Antike aufgenommen. Am besten ist die monumentale Schönheit zu erfahren auf dem Bebelplatz, "im Schnittpunkt der Gebäude". Während südländische Hitze über der Stadt liegt, der blaue Himmel "unglaublich hoch" darüber gezogen, ist auch die Distanz zu spüren, die die Zeitlosigkeit schafft. Statuen können einander nicht umarmen. "Nichts bewegt sich, alles ist erstarrt; es herrscht Ruhe".

Das Palladium - im alten Griechenland ein Schutz verheißendes Kultbild der Athene - ist im Roman der Schlüssel, der den Blick für das Klassische öffnet. Hilbert, erfolgreicher Rechtsanwalt, hat gerade noch überlegt, "was geschehen würde, wenn er sich mit seinem Leben endlich abfände. Wäre das dann das vollkommene Glück oder die vollkommene Teilnahmslosigkeit?", da lernt er Katharina kennen. Sie ist eine ebenfalls erfolgreiche Komponistin und schenkt ihm das kleine hölzerne Palladium. Mit ihrer fernen, gleichsam über der Körperlichkeit schwebenden Schönheit weist sie ihm den Weg in die Welt der Statuen. Sein glattes, wohlgeformtes Leben gerät aus dem Tritt. Immer öfter lässt er das Büro im Stich, um sich mit Katharina zu treffen, im Café, im Hotel, oder um ins Museum zu gehen und sich im zeitlosen Dasein zwischen den Statuen zu verlieren. Er ist kurz davor, Frau und Tochter zu verspielen, dazu das makellose Heim an der Spree und auch die Gunst des Chefs seiner Kanzlei. Zum Schluss hat er sich aber wieder im Griff, die Episode bleibt seltsam folgenlos.

Trotz der von der ersten bis zur letzten Seite über der Stadt lastenden Hitze ist in dem Buch - so als wehe es aus Monioudis' vor drei Jahren erschienenen Roman "Eis" herüber - eine kontrastierende Kühle zu spüren. Die Sprache, in ambitionierte Sätze von schöner Transparenz gefasst, zeichnet kühle klare Bilder: Hilbert in seinem klimatisierten Büro, durch die Scheibe hinunter auf den Savignyplatz blickend, auf die S-Bahn, das Café, das Hotel und die Figuren, die sich dort bewegen, die Sekretärin oder Marianne, seine Frau; genau, aber aus der Distanz beobachtend. Liebesszenen, die aus der fast klinisch exakten Beschreibung der beteiligten Gliedmaßen entwickelt sind. Katharina allein in ihrer großen weiten Wohnung über weißes Notenpapier gebeugt, versunken in ihrer "Polyphonie" nach außen abgeschirmt, traumatisiert und in jungfräulicher Verschlossenheit: "Wer meine Nähe sucht, dem ist nicht zu helfen".

Auch Hilbert gelingt der Schritt von der Beobachtung zur Beziehung nicht. "Er schaut alles an, aber nichts erwidert seinen Blick." Die Dinge entgleiten ihm. Die Präzision der Beschreibung steht im Gegensatz zur Vagheit des Empfindens. Dass dieses Empfinden heftig ist, lässt sich ablesen an seiner Erregung, die sich bis zu Symptomen eines Herzinfarkts steigert. Aber benannt wird nichts. Nur beim Angeln, am morgenkühlen See in stiller Zwiesprache mit den Fischen, werden Gefühle manifest.

Der klare Fluss der Sprache (Störungen ergeben sich allenfalls durch die Wahl des erzählenden Präsens) vermittelt ein schlüssiges Bild von Hilbert, dem "vielbeschäftigten Anwalt mit dem plötzlichen Bedürfnis nach dem Schönen". Doch ist die Erzählperspektive des Romans nicht auf seine Welt beschränkt. Sie wechselt, erst zu Katharina, der Geliebten, dann zu Marianne, seiner Frau, auch zur kleinen Tochter, ohne dass sich der Ton oder auch das Gefühl der Getrenntheit von der Welt wesentlich ändert; alle vier sind gleichermaßen in des Autors Kühle gehüllt.

Die Präzision des Aufbaus gibt dem Text eine bewunderswerte Geschlossenheit. Die Bewegungen der Figuren über Straßen und Plätze markieren klare Linien über den Berliner Stadtplan vom Lietzensee über die Museumsinsel bis zur Gethsemanekirche am Prenzlauer Berg. Die wenigen Handlungstage unter der Hitzeglocke sind durch Wiederkehrendes strukturiert: Hilbert beim Blick aus dem Büro auf den Savignyplatz; die S-Bahn mit ihrer Staubschicht als Indikator für Wetter und Tageszeit, das Hotelzimmer Nr. 14, Ort der Begegnung mit Katharina, das Museum und seine Stille, der in immer neuer Frische beschriebene See und seine Fische. Die Motive fügen sich zusammen in durchsichtiger Atmosphäre zu einem ganz besonderen, sehr ästhetischen Bild von Berlin, das, weil Perikles Monioudis es so will, griechisch-klassische Züge trägt.

Titelbild

Perikles Monioudis: Palladium. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2000.
280 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3827003741

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