Historiker in der DDR

Über Fritz Kleins Autobiografie "Drinnen und Draußen"

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die Vergangenheit, so heißt es oft, müsse bewältigt werden. [...] Vergangenheit - das ist nicht etwas, mit dem man fertig wird, indem man es behandelt mit Lauge und scharfem Besen, das Schlechte ausbrennt, die Schuldigen bestraft." Fritz Klein, der Autor dieser Zeilen, ist einer, der es wissen muss: ein renommierter Historiker, dessen Forschungen zum Ersten Weltkrieg als Standardwerke anerkannt sind. Nun legte der 76-Jährige seine Autobiografie vor. Auch sein eigenes Leben kann als historisches Zeugnis gelesen werden, als exemplarische "deutsche Biografie" eines Intellektuellen in der DDR.

Klein war kein Kritiker des SED-Staats, im Gegenteil. Nach dem frühen Tod der Eltern wuchs der "Sohn aus gutem Hause" bei einer Pflegefamilie auf. Sein Pflegevater Heinrich Deiters verlor als Sozialdemokrat bei Hitlers Machtübernahme seine Stellung als Lehrer. Aus den Erfahrungen im Nationalsozialismus folgte auch für Fritz Klein nach Kriegsende ein entschiedenes Ja zum Sozialismus. Der knapp 22-Jährige trat 1946 in die KPD ein, weil sie die Partei war, deren Mitglieder den Nazis "am radikalsten widerstanden hatten, am schärfsten verfolgt worden waren und nun am geschlossensten eine neue Linie vertraten."

Ohne diesen Hintergrund ist Klein, sind so viele Intellektuelle der DDR, nicht zu verstehen. Für den frischgebackenen Kommunisten Klein ging es damals nicht um die Entscheidung zwischen Demokratie und Diktatur. Von den beiden Gesellschaftssystemen wählte er vielmehr dasjenige, das die alte Ordnung, die Profitmaximierung und Ausbeutung der Unterschichten grundsätzlich überwinden wollte. Verklären wollte er die "Zustände im eigenen Lager" nicht. Seiner demokratischen Defizite ist er sich wohl bewusst gewesen - und immer bewusster geworden. Doch glaubte er an die Möglichkeit von Verbesserungen.

Seine Hoffnungen wurden auf harte Proben gestellt. 1953 zum Chefredakteur der "Zeitschrift für Geschichtswissenschaft" ernannt, wurde er 1957 aus politischen Gründen wieder von seinem Amt entfernt. Die undogmatische Linie Kleins, der auf Sachargumente und Selbstkritik des Sozialismus statt auf Propaganda setzte, brachte ihn immer wieder in Konflikte mit der offiziellen Parteilinie. Lesenswert machen Kleins Lebenserinnerungen neben den zahlreichen Details über DDR-Vorgänge und die Atmosphäre im Kalten Krieg seine Differenziertheit und Selbstkritik angesichts früherer Denkweisen. So bei den Stasi-Kontakten, die auch er nicht immer umgehen konnte. Oder am Beispiel des Parteiausschlusses und Berufsverbotes eines Kollegen von der Akademie der Wissenschaften. Klein versuchte zwar anfangs gegen die sehr diffusen Anschuldigungen zu intervenieren, fügte sich aber letztendlich wie alle anderen Mitglieder der Akademie.

Vor etwas mehr als zehn Jahren, als die Mauer fiel, begann in Deutschland die große Abrechnung mit den DDR-Intellektuellen, die am Sozialismus bis zuletzt festgehalten hatten. Im deutsch-deutschen Literaturstreit wurde DDR-Autoren wie Christa Wolf wechselweise Realitätsblindheit und Opportunismus vorgeworfen. Jeglicher Stasi-Kontakt einer öffentlichen Person wurde, ungeachtet der kritischen Betrachtung des Einzelfalls, als Brandmal durch die Gazetten gereicht.Vielleicht ist nun die Zeit gekommen, für die Geschichte der DDR-Bürger neue Formen zu finden. Fritz Kleins Autobiografie kann einen Beitrag dazu liefern.

Titelbild

Fritz Klein: Drinnen und Draußen. Ein Historiker in der DDR. Erinnerungen.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
376 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 310039609X

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