Meister der Langsamkeit

Klaus Böldls Roman "Südlich von Abisko"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Warum sollte es törichter sein, morgens zum Beispiel in den Wald zum Beerensammeln zu gehen, als in irgendein Büro zu fahren, um Zusammenhängen zu genügen, die es im Grunde gar nicht gibt?" So lässt Klaus Böldl in seinem zweiten Roman "Südlich von Abisko" seinen Protagonisten Behringer resümieren.

Diese zivilisationskritischen Gedanken, die einhergehen mit einer starken Orientierung an der Natur, prägten schon Böldls Erstling "Studie in Kristallbildung" (1997). Wie in seinem Debütwerk hat der 36-jährige Autor auch nun wieder die Handlung im hohen Norden Europas angesiedelt, und auch der Protagonist Behringer kommt uns irgendwie bekannt vor, erinnert er doch stark an jenen Johannes Grahn, den Böldl vor drei Jahren nach Grönland geschickt hatte.

Die Hauptfigur Harald Behringer, ein übergewichtiger und äußerst müßiggängerischer Individualist, hat sich aus seiner Wahlheimat Stockholm für einige Tage in den hohen Norden abgesetzt - in das entlegene lappländische Dörfchen Abisko. Dort will er eine schwierige Übersetzung vollenden.

Behringer, der nichts so sehr liebt wie die Ruhe und der sich im Ambiente großer Bibliotheken so ausgesprochen wohl fühlt, lernt bei seinem Rückzug an den Polarkreis die Tochter seines Hotelbesitzers näher kennen. Für den in die Arbeit vertieften Wissenschaftler ist mit seiner Rückkehr nach Stockholm dieses zwischenmenschliche Intermezzo längst abgehakt. Nicht jedoch für die junge Emma, die eines Tages in der schwedischen Hauptstadt vor Behringers Wohnungstür steht.

Danach wird es für Behringer ziemlich turbulent. Seine Lebensgefährtin Malin wähnt sich das Opfer eines Seitensprungs und trennt sich von der Hauptfigur. Der Eigenbrötler nimmt dies mit geradezu stoischer Gelassenheit hin. Nichts scheint ihn aus der Bahn werfen zu können. Er verkriecht sich in sich selbst, macht ausgedehnte Spaziergänge, bei denen er genau darauf achtet, dass er die gleiche Richtung verfolgt wie die Wolken.

Böldls Behringer-Figur hat etwas Unnahbares. Er scheint aus der Zeit gefallen zu sein, eingefroren in einer weit zurückliegenden Epoche, und nun ist er wieder aufgetaut und findet sich in der hektischen Welt überhaupt nicht zurecht.

Seine Flucht nach "Abisko" steht für den Wunsch nach Ruhe, nach innerer Einkehr, vielleicht sogar für das Bestreben, den Lauf der Dinge verlangsamen zu wollen.

So unaufgeregt, ja geradezu bedächtig, wie die Handlung daherkommt, ist auch Klaus Böldls Sprache. Er schreibt eine Prosa, die ihren Glanz aus dem gedrosselten Erzähltempo bezieht- klar und unverrückbar wie das Eis in Lappland. Böldl ist ein Meister der Langsamkeit, und so darf man diesen schmalen Roman auch als Plädoyer gegen die alltägliche Hektik lesen. Der letzte Satz dokumentiert dies mit Nachdruck: "Wir haben Zeit. Ein paar hundert Jahre spielen in unseren Augen keine Rolle."

Titelbild

Klaus Böldl: Südlich von Abisko. Erzählung.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
128 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3596149797

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