Die mittleren Jahre sind eine sehr einsame Zeit

Hanif Kureishi erzählt in der Anthologie "Dunkel wie der Tag" von der Orientierungslosigkeit der Männer mittleren Alters

Von Anette MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anette Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Männer mittleren Alters verlassen ihre Frauen und Kinder, ziehen mit ihren jungen Freundinnen zusammen, werden wieder Vater und wissen nicht, wo ihr Platz im Leben ist. In acht von zehn Kurzgeschichten beleuchtet Kureishi die Situation dieser Männer aus verschiedenen Blickwinkeln. Es ist eine ernüchternde Bilanz: Beruflich haben sie alles erreicht, wovon sie einst träumten; aber sie wohnen in schicken Häusern in den besten Londoner Vierteln und wissen nichts mehr mit ihrem Leben anzufangen. Sie können nicht sagen, ob sie die jungen Frauen, für die sie ihre Ehe beendet haben, lieben, und scheinen auf der Suche nach etwas, das sie selbst nicht beim Namen nennen können.

Kureishis Charaktere sind übersättigt vom Erfolgsleben und sehnen sich zurück in jene Zeiten, als ihnen noch alle Möglichkeiten offen standen. Durch junge Frauen versuchen sie, ihre alten Tage wieder zu beleben: Ian, aus dessen Sicht die Titelgeschichte "Dunkel wie der Tag" erzählt wird, ist mit seiner schwangeren Freundin nach Paris gegangen, um beruflichen und privaten Entscheidungen zu entfliehen. Er lebt mit ihr in der Wohnung seines Geschäftspartners, ist seit drei Monaten nicht zur Arbeit in seiner eigenen Firma erschienen und unternimmt in Paris den Versuch, seiner Existenz die Magie seiner jungen Jahre wiederzugeben.

Dies könnte an sich ein spannendes Thema sein, würde sich Kureishi mehr für seine Charaktere interessieren. Im Grunde erzählt Kureishi achtmal dieselbe Geschichte, wenn auch aus verschiedenen Blickwinkeln, doch die männliche Hauptfigur scheint wieder und wieder dieselbe zu sein. Die Situationen, die Themen und der Erzählton unterscheiden sich von Geschichte zu Geschichte nicht wesentlich, bis man schließlich selbst übersättigt ist von diesen gelangweilten, orientierungslosen Männern und ihren Geschichten, die einem spätestens nach der zweiten Seite "Midlife-Crisis!" entgegenschreien.

Auf den ersten Blick hat Kureishi seine eigene Tradition der treffsicheren Beschreibung Londoner Lebens fortgesetzt, doch bei näherem Hinsehen zeigen sich kleine, aber wichtige Veränderungen. Kureishis Figuren suchen noch immer nach Freiheit, Drogen und Sex, doch das, was sie einst interessant machte, ist verschwunden: Sie streben nicht mehr nach der Verwirklichung ihrer Träume, begehren nicht mehr auf gegen die eigene Unterprivilegiertheit und die Stellung, die ihnen die englische Gesellschaft zugewiesen hat, sondern sie sind auf der Seite angekommen, die sie früher verachteten. Sie sind erfolgreiche Filmproduzenten, berühmte Schriftsteller und gefragte Dozenten, die ihre Etablierung in der bürgerlichen Gesellschaft vor sich selbst jedoch fleißig zu verleugnen suchen. Nick, der den Sprung vom Musikjournalisten zum gefeierten Schriftsteller geschafft hat, trifft in "Das war einmal" seine Ex-Freundin Natasha wieder, mit der er einst ein wildes, ungezügeltes Leben führte. Im Gespräch mit Natasha kommt er als einziger zu dem Schluss, dass die wilden Rebellen von einst nun entweder mit Frau und Kind in schönen Häusern leben und jeden Tag an ihrem Schreibtisch verbringen oder tot sind. Nick folgt Natasha in ihre Wohnung, um noch einmal die Vergangenheit aufleben zu lassen und dann zu Frau und Kind zurückzukehren.

Die Figuren in "Dunkel wie der Tag" bleiben austauschbar. Dies mag auch an den teilweise gestelzt und fabriziert wirkenden Dialogen liegen, in denen sich die Figuren aus heiterem Himmel um die Formulierung einer eigenen Lebenserkenntnis bemühen: "Ich musste letztens daran denken, dass ich meine Eltern nie wieder so mögen werde, wie ich es mal getan habe. Es gibt für nichts wirklich eine Begründung, wir verlieben uns einfach - und hören zum Glück auch wieder auf zu lieben", sagt Nick zu Natasha, als sie ihn bittet, sie nicht aus seinem Leben zu verdrängen.

Kureishi ist seinem Ruf in dieser Anthologie nicht gerecht geworden, Londoner Leben mit all seinen Variationen und Widersprüchlichkeiten einfangen und auch gesellschaftspolitisch kommentieren zu können.

Dennoch bleibt mit der Geschichte "Der Penis" ein Lichtblick, auch wenn er fast zu spät kommt. Diese letzte Geschichte bricht aus dem Wiederholungsmuster der vorangegangenen Geschichten aus und versetzt uns in eine surrealistische Traumwelt, in der Alfie eines Morgens einen abgeschnittenen Penis in seiner Hosentasche findet. Da Alfie sich nicht recht erinnern kann, was in der Nacht zuvor geschah, bemüht er sich um die Beseitigung des Objekts, während ein paar Meilen weiter der Pornostar Doug aufwacht und besagten Penis, den eigentlichen Star seiner Filme, vermisst. Doug unterscheidet sich wohltuend von den restlichen Charakteren des Buches, indem er sich als handlungsfähig erweist und sich auf die Suche nach dem verlorenen Stück macht. Es gelingt ihm, seine Probleme auf simpelste Weise zu lösen und sein Leben ohne große philosophische Erkenntnisse weiterzuleben.

Titelbild

Hanif Kureishi: Dunkel wie der Tag. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Englischen von Bernhard Robben.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2000.
240 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3463403889

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