Logostherapie

Jacques Derrida über vornehme und apokalyptische Töne

Von Waldemar FrommRSS-Newsfeed neuer Artikel von Waldemar Fromm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jacques Derridas "Apokalypse. Von einem neuerdings erhobenen apokalyptischen Ton in der Philosophie" ist im französischen Original 1983 erschienen. Die erste Fassung hat Derrida 1980 auf einer Konferenz zu seinen Arbeiten mit dem Titel "Von den Enden des Menschen" vorgetragen. Der Titel ist nicht ohne Ironie gewählt. Die Kritik an den Autoren, die dem Poststrukturalismus zugewiesen werden, beruht nicht selten darauf, dass sie an ein Ende denken: das Ende des Subjekts, das Ende der Geschichte, das Ende der Moderne usw. Die Kritik enthielt nicht selten eine beschwörende Haltung, mit der zum Ausdruck gebracht werden sollte: Wer diesen Ansichten folgt, verlässt den Boden der Vernunft und der Moderne. In diesen eigentümlichen Szenarien hat die Kritik auch die Endzeitstimmung mitbenutzt, die auf die politische Entscheidung zur Nachrüstung reagierte. Nicht eben wenige hatten den Eindruck der Unausweichlichkeit einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den politischen Blöcken, woran der in dem Buch mit abgedruckte Text "No Apocalypse, not now (full speed ahead, seven missiles, seven missivs)" erinnert.

Angesichts solcher apokalyptischen Töne reagiert Derrida mit beruhigenden Formulierungen, die die verhandelte Sache in den Vordergrund stellen. Nach einleitenden Bemerkungen zur Wortgeschichte von hebräisch "gala" und griechisch "apokalypto" liest Derrida Kants "Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie" und die Offenbarung des Johannes. Beide Texte verfehlen, wie Michael Wetzel im informativen Nachwort treffend bemerkt, die Offenheit der Geschichte: "Recht hat weder der Prophet der finalen Authentizität noch der Polizist der apriorischen Autonomie".

Der apokalyptische Ton, auf den Derrida anspielt, zeichnet sich in mehrfacher Hinsicht ab: "Ich sage Euch die Wahrheit, das ist nicht nur das Ende von diesem, sondern auch und zuerst von jenem, es ist das Ende der Geschichte, das Ende des Klassenkampfes, das Ende der Philosophie, der Tod Gottes, das Ende der Religionen, das Ende des Christentums und der Moral (was die größte Naivität war), das Ende des Subjekts, das Ende des Menschen, das Ende des Abendlandes, das Ende des Ödipus, das Ende der Welt, Apocalypse now, ich sage Euch, in der Sintflut, dem Feuer, dem Blut, dem erderschütternden Beben, dem Napalm, das aus Hubschraubern vom Himmel fällt, so wie die Prostituierten, und dann auch das Ende der Literatur, das Ende der Malerei, der Kunst als Sache der Vergangenheit, das Ende der Psychoanalyse, das Ende der Universität, das Ende des Phallozentrismus und was weiß ich noch alles." Solche Wendungen enthalten eigentümliche Denkfiguren und -bilder, denn sie sagen: Wenn es soweit kommt, dass der kritisierte Ansatz gilt, gibt es keinen Boden mehr für den Ansatz des Kritikers. Sie behaupten eine Wahrheit, die nicht mehr sagbar wäre, würde das Ende tatsächlich eintreten.

Die Antwort Derridas auf solche Endzeitstimmung ist in einer Verteidigungsschrift arrangiert, die, wenn man genau liest, mit den Kritikern der Dekonstruktion mitunter parodistisch verfährt, sie aber nie angreift. Der Text verteidigt nicht nur neuere Ansätze, die mit dem Stigma des Endes versehen wurden, sondern auch die Aufklärung vor ihren Anwendern. Derrida schlägt vor, den von Kant eingeschlagenen Weg der Entmystifizierung konsequent zu Ende zu gehen, was im Falle Derridas heißen kann, dem Ende seinen Schrecken durch die Pluralität der Perspektiven darauf zu rauben. Derrida wendet sich bei der Lektüre der Schrift Kants zunächst dem Begriff des "Tons" zu. Kant kritisiert Derrida zufolge eher eine Manier, die zum Tod der Philosophie führen soll. Für Kant ist der vornehme Ton durch unphilosophische Gedankenführungen gekennzeichnet, für die ,Mystagogen' bleibt eine Philosophie ohne Gefühl und Ahnung schwach. Derrida entscheidet sich im Verlauf der Darstellung nicht zwischen den zwei Parteien, die ja beide mit dem Schlagwort vom "Tod der Philosophie" hantieren. Auch Kants Versuch einer Vermittlung überzeugt Derrida nicht. Dieser besteht darin, anzunehmen, dass beide Parteien sich auf das moralische Gesetz als dem Unbedingten beziehen, die Mystagogen es aber ästhetisch konkretisieren. Ein Verzicht auf die Konkretisierung würde die beiden Parteien Kant zufolge wieder zusammenführen können. Tatsächlich aber, so argumentiert Derrida, wird alle philosophische Rede und auch diejenige Kants - von den Kritikern der Dekonstruktion ganz zu schweigen - von einem apokalyptischen Ton geprägt. Derrida versäumt in diesem Zusammenhang nicht, auch auf Passagen aus seinen eigenen Schriften hinzuweisen, die vom apokalyptischen Ton betroffen sind.

Die Verteidigungsschrift Derridas hat ihre Eigenarten: sie greift nicht an, sie entschuldigt nicht, sie verfährt auch nicht nach dem Muster einer Gerichtsrede. Sie fragt nach den Bedingungen, unter denen die Angriffe stattfinden, und weist sie als allen verbindlich aus. Die Verbindlichkeit bezieht sich nicht zuletzt auf die Aufklärung selbst: "Wir heute können", schreibt Derrida, "uns dem Erbe dieser Aufklärung nicht entziehen, wir können und dürfen nicht - so lautet unser Gesetz und unser Geschick - auf die Aufklärung verzichten, d. h. anders gesprochen auf das, was sich als das rätselhafte Verlangen nach Wachsamkeit, nach hellsichtiger Aufmerksamkeit, nach Erhellung, nach Kritik und Wahrheit stellt, aber nach einer Wahrheit, die zugleich in sich ein apokalyptisches Verlangen bewahrt, in diesem Sinne ein Verlangen nach Klarheit und Offenbarung, um den apokalyptischen Diskurs selbst zu entmystifizieren oder, wenn sie lieber wollen, zu dekonstruieren...". Liebevoller und therapeutisch wirkungsvoller ist der Aufklärung der aggressive Stachel der Ermächtigung selten gezogen worden. Zugleich enthält die Passage aber auch den Vorschlag zu einer Friedensformel mit den Kritikern, verpackt als Aufforderung, sich doch entmystifizieren zu lassen.

Eine Dekonstruktion der Kritik der Dekonstruktion wird im Text also als Entmystifizierung des apokalyptischen Tones der Kritik geleistet. Die subtile Analyse des Kantischen Textes macht nebenbei die historischen Aporien der Aufklärung transparent, die nicht zuletzt dies zeigen: dass die deutsche Aufklärung eine abgeschlossene historische Epoche ist. Selbst wenn die Gegenwart sich von diesem Einsatzpunkt aus definiert, ist die Aufklärung in der exklusiven Geste, mit der sie heute erscheint, kaum zu halten. Hervorzuheben ist an dem Buch aber auch, dass ihm der historische Einschnitt 1989 nichts hat anhaben können. Es ist eines der wenigen zum Thema, die die Sprechweise zum Gegenstand der Untersuchung wählen, ohne dem apokalyptischen Ton zu verfallen und so nur auf das vermeintliche nächste Ende spekulieren.

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Jacques Derrida: Apokalypse. Von einem neuerdings erhobenen apokalyptischen Ton in der Philosophie.
Passagen Verlag, Wien 2000.
139 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3851654234

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