Die letzte Adresse

Ein opulenter Band zeigt Familie Mann in Kilchberg

Von Melanie OttenbreitRSS-Newsfeed neuer Artikel von Melanie Ottenbreit

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der langen Reihe der Wohnorte Thomas Manns bildet Kilchberg die Endstation. Die gediegene Villa oberhalb des Zürichsees ist nicht die erste Familienadresse in der Schweiz, denn in den Jahren 1933 bis 1938 waren die Manns bereits in Küsnacht zu Hause. Für Thomas Mann aber war Kilchberg vielleicht die bedeutendste Anschrift überhaupt: Es war seine "letzte", dessen war er sich sicher, und sie sollte nicht im amerikanischen Exil an der Pazifikküste in Pacific Palisades liegen, sondern auf deutschem Sprachgebiet und europäischer Erde. Denn in ihr wollte er begraben sein.

Thomas Sprecher und Fritz Gutbrodt haben Kilchberg nun mit einer ausladenden Dokumentation gewürdigt, die sich dem Haus und den Bewohnern der Alten Landstraße 39 widmet. Mit vielen unveröffentlichten Bildern und Materialien aus dem Thomas-Mann-Archiv der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich haben sie ein üppiges Buch zusammengestellt, in dem vom Grundriss des Hauses bis zu "home stories" diverser Magazine der Alterssitz der Familie in allen Winkeln beleuchtet wird.

Drei Generationen der Manns, Thomas und Katia, Erika, Elisabeth, Monika, Golo und Frido kommen durch Aufsätze, Tagebücher, Briefe, Reden sowie Zeitungsartikel zu Wort und schildern ihre Erlebnisse und Gedanken an Kilchberg. Daneben befassen sich eine Reihe von Interpreten wie Inge Jens, Hans Wysling und Hanno Helbling mit dem berühmten Haus und schildern persönliche Begegnungen mit der Witwe und den Kindern des "Zauberers".

Thomas Mann ist verglichen mit seiner Frau und seinem Sohn nie wirklich ein Kilchberger geworden. Er starb zu früh. Golo zog 1958 in die Alte Landstraße ein und blieb 36 Jahre bis zum Tod. Seinem Leben ist deshalb in der Dokumentation mehr Raum gegeben als allen anderen Personen. Als er 1994 starb, gingen 40 Jahre Mannscher Familientradition in Kilchberg zu Ende. Das Haus wurde verkauft.

Die Dokumentation von Sprecher und Gutbrodt ist Ausdruck von Entdeckerfreude. Allerhand Kurioses kam ans Licht und viel Privates, das in die Forschung keinen Eingang fand. Zum Tode Thomas Manns sind neben Bildern der trauernden Familie die Todesanzeige in der "Neuen Zürcher Zeitung" und die Bestattungsbescheinigung der Friedhofsverwaltung abgedruckt, daneben eine Auswahl prominenter Kondolenzschreiben wie das Beileidstelegramm aus dem "Arbeiter- und Bauernstaat" DDR. Von "Frau Thomas Mann", die bis ins hohe Alter ihr Automobil selbst zu steuern pflegte, sind selbst die Blechschäden überliefert: Kleiner "Zwischenfall am Paradeplatz, bei dem ich, rückwärts einparkierend, den hinter mir stehenden Wagen beschädigt haben soll".

Die Detailgenauigkeit ist Respekt einflößend. Nichts wurde ausgelassen, was sich auch nur im Entferntesten mit den Manns und Kilchberg verbinden ließ. Über die Fleißarbeit hinaus ist das Buch aber vor allem eine Sammlung von Spezialwissen. Von Experten verfasst, für solche, die es werden wollen.

Kein Bild

Thomas Sprecher / Fritz Gutbrodt: Die Familie Mann in Kilchberg.
Wilhelm Fink Verlag, München 2000.
250 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3770535286

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch