Schmerzliches Leben, originelle Krankheit

Italo Svevos Klassiker "Zenos Gewissen" ist wiederzuentdecken

Von Sarah FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sarah Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

'Schlechter Stil, sprachliche Ungenauigkeit, obsessive Wortwiederholungen' - diese und andere wenig schmeichelhafte Attribute kamen Italo Svevo bei der Veröffentlichung seines dritten Romans "Zenos Gewissen" im Jahre 1923 zu Ohren. Die neue deutsche Übersetzung von Barbara Kleiner bemüht sich, besagten 'schlechten Stil', der sich z. B. durch eine gewisse Unsicherheit in der italienischen Idiomatik oder das Verknüpfen fremder Sprachregister 'auszeichnet', philologisch präzise zu übersetzen. Svevos sprachliche Eigenarten, so hat auch die italienische Kritik inzwischen längst erkannt, sind durchaus keine Defizite, sondern tragen dazu bei, Zenos Charakter in all seinen Facetten zu beleuchten.

Wie das Vorwort des Doktor S. mitteilt, wird das "Tagebuch des Zeno" oder "Zenos Gewissen" von ihm, seinem Psychoanalytiker, aus Rache veröffentlicht, da sein Patient die Therapie abgebrochen hat. Der für die Psychoanalyse aufgezeichnete Lebens- und Gefühlsweg wird nicht in realistischer Tradition chronologisch, linear und hierarchisch erzählt, sondern ist in thematische Kapitel gegliedert. Die Kapitel überschneiden sich so in der erzählten Zeit und werfen immer neue Aspekte der verschiedenen Lebensabschnitte Zenos auf. Der Erzähldiskurs also folgt aus einer thematisch geordneten Verknüpfung der "Erinnerungen".

Zu Anfang steht "Das Rauchen", nämlich Zenos Leidenschaft für die Zigarette sowie seine wenig überzeugenden Versuche, aus seiner Sucht auszubrechen. Die folgenden Kapitel sind den Menschen gewidmet, die Zeno nahe stehen und den Ereignissen, die sein Leben bestimmten. So zum Beispiel der Beziehung zu seinem Vater, seiner Frau, seiner Geliebten und "Die Geschichte einer Geschäftsverbindung". Das letzte Kapitel besteht aus seiner persönlichen, negativ ausfallenden Bilanz der Psychoanalyse.

Zenos Handschrift ist die eines Triestiner Kaufmannes am Anfang dieses Jahrhunderts. Durchschnittlich gebildet, erfolglos in der Arbeit und anfangs unglücklich verheiratet, gibt Svevos Protagonist mehr Anlass zu Mitleid und oberflächlicher Belustigung als zu ernsthaftem Interesse. Gerade dieses scheinbar allzu langweilige Durchschnittsschicksal macht auch die Schwierigkeit des Romans aus, der seine Qualitäten erst auf Umwegen preisgibt. Wer Zeno, wer Svevo verstehen will, muss bereit sein, nicht nur über ihn zu lachen, sondern ihn gar auszulachen. Lachen über diesen verschrobenen Hypochonder, diesen schrulligen Egoisten, diesen unfähigen Ehebrecher, diesen naiven Feigling, diesen Antihelden durch und durch. Wer ihn dann auslacht, erkennt, dass auch Zeno Zeno durchschaut und auch Zeno über Zeno lacht.

So scheint es zuweilen, als frage sich Zeno gemeinsam mit dem Leser, weshalb dieser Protagonist der Psychoanalyse bedarf, ja ob er überhaupt etwas, wenn schon nichts Traumatisches so doch zumindest Dramatisches, erlebt habe, das es wert sei, aufgezeichnet bzw. gelesen zu werden.

Svevo hat seinen Roman jedoch veröffentlicht, und zu sagen hatte er damit durchaus etwas. "Zenos Gewissen" ist das Zeugnis der absurden Ängste, der Zwergneurosen und der Träume, die wir alle hegen, die aber bitte niemals in Erfüllung gehen. Zeno ist klein und lächerlich und in dem Wissen darum groß und erhaben. So sitzt er königlich auf seinem Thron und lehrt uns das Schicksal des Menschen, der es sich zur Lebensaufgabe macht, sein Glück zu negieren und dabei, sich in wohligem Selbstmitleid suhlend, richtig glücklich ist. In diesem kalkulierten Widerspruch liegt die feine, zuweilen allzu gut versteckte Ironie des Buches.

Linderung findet Zeno letztlich nicht durch die vom Doktor S. verschriebenen Selbstbetrachtungen, denn sie betreibt unser Held ein langes Leben lang nur zu gewissenhaft. Ihn heilt das Leben, das ihm durch seine "originelle" Eigenschaft zu spätem, beruflichem Erfolg verhilft, dem der träge Zeno jedoch nur durch Zwang erliegt. Sicherlich ist Doktor S. nicht abzustreiten, dass er durch die Analyse von Zenos Biographie zu zahlreichen Erkenntnissen kommen würde, doch Zenos Schicksal lehrt uns auch, dass das Leben sich dreht und wendet und eine erhabene Zuschauerposition mitunter das beste Mittel ist, die Spannung, den Schmerz und das Leid - das eigene Leben eben - zu ertragen. Diese seine Krankheit, die Krankheit Leben nämlich, ist weder "häßlich noch schön, sondern originell."

Svevo selber formuliert: "Meine Figuren werden zu ihren eigenen, lachenden Nebenmenschen." Erst der Leser, der es versteht, mit Zeno über Zeno zu lachen, hat die Möglichkeit, die in der Komik aufgehobene Ernsthaftigkeit zu verstehen. Zu diesem Eindruck trägt die neue Übersetzung von Barbara Klein entscheidend bei.

Wenn Svevo etwa seine Überlegungen zur Liebe mit dem Vokabular der Handelssprache darstellt, dann ist dies nicht etwa auf einen schlechten Stil zurückzuführen, sondern fügt sich wunderbar in die Figur des Zeno ein. Dieser hat die krudesten Ansichten und gelangt mit ihnen zu richtigen Einsichten. Echte Lebensironie eben. So wirbt Zeno ganz handelsähnlich um die schönste Tochter seines Geschäftsfreundes und Idols, um, von ihr abgewiesen, sich der zweitschönsten zuzuwenden. Auch diese will von ihrer Auserwähltheit nichts wissen, so dass die dritte schließlich, anfangs klein und hässlich, in der Ehe zum blühenden Schwan wird und dem dummen Prinzen sein Glück besch(w)ert.

Die Abrechnung mit der Psychoanalyse im letzten Kapitel hält noch eine weitere Überraschung bereit. Noch auf der letzten Seite wird eine völlig neue Lebensphilosophie zum Besten gegeben, die, nur scheinbar unbewusst, die gesamte Existenz des Protagonisten in Frage stellt. Dem Leser bestätigt sie ein weiteres Mal den Verdacht, dass diese Aufzeichnungen, trotz aller Gewissenhaftigkeit, voller Selbstironie stecken.

Der Ausgabe der Neuübersetzung ist ein einfühlsamer und informativer Essay von Wilhelm Genazino angefügt, der sich vielleicht sogar vor dem Roman zu lesen empfiehlt.

Titelbild

Italo Svevo: Zenos Gewissen. Roman. Mit einem Essay von Wilhelm Genazino.
Übersetzt aus dem Italienischen von Barbara Kleiner unter Mitwirkung von Edgar Sallager.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2000.
624 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 386150345X

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