Wahrheit und Erinnerung

Keith Ovendens Roman "Eine Art Vermächtnis"

Von Stefanie Regine BrunsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Regine Bruns

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An einem Sonntag wird Moser tot in seinem Bett aufgefunden. Auf dem Nachttisch steht ein leeres Aspirinfläschchen, ein ausgetrunkenes Glas und ein Brief an seine schon lange verstorbene Frau Vita. Alles deutet zunächst auf Selbstmord hin. Keith Ovendens Roman "Eine Art Vermächtnis" beginnt wie ein Krimi.

Philip Leroux, der engste Freund des Toten, beginnt nun, Mosers Leben aus Bruchstücken zu rekonstruieren. In der Woche bis zum Ergebnis der Autopsie schreibt er seine Erinnerungen an den langjährigen Vertrauten nieder. Dabei stellt er immer wieder die Frage: Was macht die Biographie eines Menschen wirklich aus? Das, was er erlebt hat, oder das, was er erlebt zu haben glaubte? Das, was er glaubt zu sein, oder das, was andere in ihm sehen? Philip und Moser haben sich während ihres Studiums in Oxford kennen gelernt. Philip wählt Philosophie, Moser Mikro- und Evolutionsbiologie - gemeinsam ist beiden der große Ehrgeiz und der unbändige Forscherdrang. Es entwickelt sich trotz unterschiedlicher Fachgebiete und gegensätzlicher Charaktere zwischen den beiden eine tiefe Freundschaft. Selbst als Moser, der geniale Naturwissenschaftler, von seinen Kollegen massiv angefeindet wird, weil er die Evolutionstheorie Darwins kritisiert, hält Philip zu ihm.

Begleitet werden Philips Erinnerungen von ausführlichen, oft zähen Betrachtungen über Freundschaft, Liebe, Verrat und Selbstmord. Der Spannungsbogen des Romans, die brisante Frage nach den Gründen des vermeintlichen Suizids, wird durch lange Reflexionen über Leben und Werk Alexander Herzens strapaziert. Philip hat zwölf Jahre lang an der Biographie des russischen Philosophen und Schriftstellers gearbeitet. Sein Freund Moser stirbt just in dem Moment da Philip seine Arbeit abschließt. Er verliert seinen engen Vertrauten und scharfsinnigen Diskussionspartner und beendet sein langjähriges Forschungsprojekt.

Wie gut kennt Philip diese beiden Menschen? Was weiß er über sie? Wo enden Fakten, wo beginnen Spekulationen? Der akribische Biograph beginnt neu über seine Arbeit und den Wahrheitsgehalt von Erinnerungen nachzudenken: "Vielmehr wird die subjektive Wahrnehmung unserer Erfahrungen vom Gedächtnis geformt und gestaltet, und das arbeitet nicht linear, sondern mit Relationen, flüchtigen Bezügen, Assoziationen, mit Gerüchen und Gefühlen. Es agiert in geheimem Einverständnis mit dem Unbewussten, das in unserem Gehirn zwar als autonome Größe angelegt ist, aber dennoch ständig umgestaltet und neu gemischt wird, wie ein himmlisches Kartenspiel. Wir versuchen alles, um es zu lenken und zu beherrschen, doch es entschlüpft uns immer wieder, irrlichtert von den altvertrauten Pfaden hin zu neuen Routen, kehrt in verlorene und kurz wiedergefundene Bahnen zurück, streift an alten, halb vergessenen Erinnerungsmalen vorbei auf neue Wegmarken zu, die ihrerseits auf Erfahrungen verweisen, die einst zärtlich gehätschelt, inzwischen aber längst abgetan und dem Verfall preisgegeben sind. Hier ist das Terrain, auf dem man den Erfahrungen nachspüren müsste, aber gerade das bleibt dem Biographen verschlossen, weshalb ich auf Fakten und Ereignisse ausweiche, auf Briefe und Tagebücher, Orte und Daten."

Dies alles vor der Kulisse des Oxforder Universitätslebens mit seinen verschrobenen Professoren, seiner konspirativen Collegepolitik und seinen Grabenkämpfen.

"Eine Art Vermächtnis", der erste Band einer Trilogie, ist "eine einfühlsame Elegie auf die Freundschaft" wie "The Guardian" schreibt. Zugleich ein spannendes, intelligentes Buch mit originellen Gedanken über Freundschaft, Liebe und Tod, das sprachlich leider allzu sehr die akademische Herkunft seines Autors verrät.

Titelbild

Keith Ovenden: Eine Art Vermächtnis. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Christa E. Seibicke.
Verlag C.H.Beck, München 2000.
275 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3406460593

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