Der Eingang zur Unterwelt

Hans Christoph Buchs Roman "Kain und Abel in Afrika"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wem das philosophische Prinzip der Katharsis suspekt ist, wird sich mit Hans Christoph Buchs neuem Roman kaum anfreunden können. Zart besaiteten Feingeistern möchte man sogar von der Lektüre abraten, denn das Blut fließt in Strömen und unzählige Leichen pflastern den beschwerlichen Lektüreweg.

Der 56-jährige Autor hat in der Vergangenheit als Reporter schon von vielen Krisenherden rund um den Erdball berichtet. 1995 begab sich der promovierte Germanist ins Kriegsgebiet von Ruanda. Seine dort gewonnenen Eindrücke hat er in "Kain und Abel" mit der Schilderung einer Afrika-Expedition des Arztes Richard Kandt, der sich 1898 aufmachte, um die Quelle des Nils zu suchen, verwoben.

Nicht überall, wo Roman draufsteht, verbirgt sich zwischen den Buchdeckeln auch tatsächlich ein Roman. Aus strategischen Gründen hat sich der Verlag vermutlich für diese absatzfördernde Etikettierung entschlossen. In Wirklichkeit haben wir es auf den unterschiedlichen Erzählebenen einmal mit einem erschütternden Erlebnisbericht und im zweiten Teil mit einer historischen Rekonstruktion zu tun. Die Nahtstelle bildet Buchs ideologischer Überbau. Danach ist das Blutvergießen zentraler Bestandteil der afrikanischen Geschichte, von den Anfängen der Kolonialzeit bis in die detailliert beschriebene Gegenwart.

"Der Eingang zur Unterwelt befindet sich in der Halle des Hotels Mille Collines in Kigali", schreibt Buch über sein Domizil. Von dort rückte er aus in die vielen Lager, in denen er unbeschreibliches Elend zu Gesicht bekam. Menschen werden durch Macheten gevierteilt, während UN-Menschenrechtsbeauftragte dem blutigen Krieg zwischen Tutsi und Hutus tatenlos zusehen müssen. Der Berichterstatter, durchgängig in der zweiten Person erzählt, lernt einen verstörten einheimischen Betriebswirt kennen, dessen Vater Hutu und dessen Mutter Tutsi war und der auf besonders grausame Weise traumatisiert ist. Er wurde von Milizionären gezwungen, seine Schwester zu vergewaltigen, die er danach nicht mehr lebend wiedersah.

Bei der Lektüre des dokumentarischen Teils fühlt man sich sogleich an Bodo Kirchhoffs 1994 erschienenen Band "Herrenmenschlichkeit" erinnert, in dem Kirchhoff über seine Erlebnisse in Somalia berichtete. Hier wie dort begegnen wir einem reportagehaften Erzählstil, wirken die beschriebenen Gräueltaten beinahe unfassbar, und auch die latente Kritik an den Hilfsmaßnahmen der westlichen Welt verbindet beide Autoren. Mediziner werden zum Richter über Leben und Tod. Für jeden notdürftig Behandelten fallen Hunderte ebenso Hilfsbedürftige (nach einem schrecklichen Zufallsprinzip) durchs Sieb.

Zufälle haben (nach Hans Christoph Buch) in der afrikanischen Geschichte ohnehin eine große Rolle gespielt - ganz nach dem Motto: Wer heute Kain ist, kann morgen schon Abel sein, beeinflusst durch die ständig wechselnden politischen Verhältnisse.

Die politische Instabilität in der Krisenregion resultiert aus den wirtschaftlichen Interessen vieler Nachbarstaaten und nicht zuletzt durch die Einflussnahme der einstigen Kolonialmächte. So umfasst Hans Christoph Buchs erzählerischer Bogen schließlich ein ganzes Jahrhundert und legt den (disputablen) Schluss nahe, dass der ausschließlich wissenschaftlich ambitionierte Robert-Koch-Schüler Richard Kandt aus der zweiten Erzählhälfte mit seiner Afrika-Expedition den Grundstein für die bis heute fortwährende Unterdrückung gelegt haben könnte.

Respekt und Hochachtung vor dem Mut und den aufklärerischen Idealen des Autors überwiegen; denn mit ästhetischen Kategorien lässt sich dieses Buch kaum taxieren.

Titelbild

Hans Christoph Buch: Kain und Abel in Afrika. Roman.
Verlag Volk & Welt, Berlin 2001.
222 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3353011706

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