Mittzwanziger unterwegs

Fridolin Schley lässt seinen Helden durchs Leben irren

Von Doris BetzlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Doris Betzl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Vater, erfolgreicher Photograph, beschließt nach einem Beinahe-Flugzeugabsturz, für unbestimmte Zeit Urlaub von der Familie zu nehmen. Die Mutter, Lehrerin aus Berufung, vereinsamt. Die Schwester kompensiert die Vater-Lücke durch einen immensen Verschleiß an Männern. Soweit der engere Familienkreis von Peter, 1976 geboren und angehender Medizinstudent. Außerdem gibt es einen Kreis von Schulfreunden - den Ottl, den Basti und den Dennis. Es gibt Fee, die halb-platonische Weg- und Studiengefährtin und Emma, die Cousine zweiten Grades, nach der sich Peter verzehrt.

Das unvorhersehbare Verschwinden des Vaters wirft unseren Helden weniger aus der Bahn als die einmalige Liebesnacht mit seiner Cousine. Jedoch führen ihn beide Erlebnisse auf die Suche: Peter beginnt, in die Vergangenheit zu horchen. Ein Photo, ein Satz, ein Gedicht reicht, um sich Lebensstationen seiner Ahnen auszumalen. Peter spinnt Gedankenfäden, baut ein Netz aus Erinnerungen und Namen, findet Parallelen und versucht alles zu einem sinnigen Ganzen zu fügen. Gleichzeitig treibt ihn eine unverhoffte Begegnung mit Emma - sei sie wirklich oder Phantom seiner Phantasie - an den Rand der Manie: Peter sieht die Cousine im Münster seiner Studienstadt Cello spielen. Nachdem er zunächst vor Schreck die Flucht ergreift, will er sie wiederfinden: "Ich versuchte, meiner Suche nach Emma System zu geben. Ich kaufte Straßenkarten von Freiburg und der Umgebung und fuhr die Strecke, die ich zurücklegte, mit einem Stift nach, auf einer Parkbank oder in einem Café, obwohl ich mir das immer seltener leistete, mir fehlten Zeit und Geld. Spät am Abend, es wurde immer später, besah ich mein Werk, fuhr ich noch einmal die Strecke nach, die ich am Tag bewältigt hatte, und radierte schließlich die Linien aus."

Halb penibler Stratege, halb 'Lonesome Wolf', durchstreift Peter die Stadt und die Wälder der Umgebung, nächtigt im Zelt unter einem Hochstand, wäscht sich nur sonntags. Hier drängt sich dann doch ein Bild auf, das der Mittzwanziger-Generation allzu bekannt sein dürfte: "Der Sommer hatte mich blond gemacht. Sommersprossen bedeckten die Flügel meiner Nase, und die täglichen Streifzüge durch die Gegend gerbten meine Haut wie Leder. Meine Augen schienen heller als früher, sie leuchteten blau." Crocodile Dundee lässt grüßen. Dennoch: solche Passagen sind selten. Überhaupt findet man detaillierte Schilderungen selten, was dem Erzählstil seine Intensität jedoch nicht nimmt. Nüchtern, sachlich nimmt Peter die Dinge wahr - und ist im nächsten Moment aufgeschreckt, verwirrt, ziellos. Seine Wirrungen erscheinen dem Leser (zumal dem gleichaltrigen) vertraut: Fragen dieser Art kennt man, ebenso das unvermutete Hinübergleiten in Phantasiewelten, wenn Kindheit und Erwachsensein noch miteinander ringen. Das Gefühl, zeitweise nicht in die Welt zu gehören, die man doch seit mindestens 20 Jahren kennt.

Momentaufnahmen einer Person zwischen den Stühlen. Ein Charakter, dessen Platz in der Welt noch nicht ganz feststeht. Jemand, dem die Dinge noch eher widerfahren, als dass er sie selbst handelnd zu beeinflussen vermag. Das sind die überzeugenden Momente dieses Erstlingswerks. Dem Autor möchte man in diesem Falle authentisches Wissen unterstellen: Fridolin Frey ist 1976 geboren und studiert in München an der Hochschule für Film und Fernsehen sowie an der Ludwig-Maximilians-Universität. Mit "Verloren, mein Vater" hat er einen Roman vorgelegt, mit dem er sich wohltuend vom restlichen männlichen, irgendwie szenigen, altklugen Teil der deutschen Jungautoren abhebt. Auch wenn wir meinen, die Wortstellung im Titel, irgendwie zeitgemäß mit vorne angestelltem Prädikat, schon mal gelesen zu haben.

Titelbild

Fridolin Schley: Verloren, mein Vater. Roman.
Verlag C.H.Beck, München 2001.
238 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3406471293

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch