Holocaust und Hollywood

Paula Fox erzählt von der Suche nach verlorenen Möglichkeiten

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Renaissance der amerikanischen Erzähler hält an. Neben Raymond Carver hat sich Paula Fox einen der vordersten Plätze sichern können. Nach dem beeindruckenden Publikums- und Kritikererfolg von "Was am Ende bleibt" liegt nun der bereits 1972 entstandene Roman "Kalifornische Jahre" in einer ansprechenden Übersetzung vor.

Paula Fox erzählt. Von der erst 17-jährigen Annie, die im Sommer 1939 alleine von New York nach Kalifornien reist. Zum Vater hält sie nur spärlichen Kontakt; andere Männer treten in ihr Leben: Walter Vogel etwa, der sie attraktiv findet, sich aber auch über ihre - nicht nur sexuelle - Naivität amüsiert. Auch von den zahlreichen anderen Menschen, denen Annie begegnet, wird sie immer wieder erzogen. Walter zuliebe, den sie so schnell heiratet, wie sie sich von ihm scheiden lässt, setzt sie sich mit der Doktrin der Kommunistischen Partei auseinander, langweilt sich aber auf den Sitzungen des Parteirates. Hier jedoch schließt sie einige dauerhaftere Freundschaften, die ihr ebenso helfen, wie sie sie gefährden. Erst allmählich lernt Annie nein zu sagen und der Versuchung kurzzeitiger Vergnügungen nicht länger nachzugeben. Und sie begreift langsam, dass sich andere Menschen in ihrem Leben bloß spiegeln, ohne ihre eigene Person wahrzunehmen, die hinter der schönen Fassade steckt.

Paula Fox erzählt. Wie das Mädchen Annie seinen passiven Posten verlässt und eine Glitzerwelt entdeckt, deren Pailletten nur mehr von Schmutz zusammengehalten werden. Auf einer Party in Hollywood beobachtet sie die Menschen: "Die herrliche Bräune von Frauenschultern konnte deren Fettpolster nicht zum Verschwinden bringen; goldene und silberne Gürtelschnallen schnitten in Männerbäuche ein; Zähne, die aus der Entfernung weiß und strahlend wirkten, glichen aus der Nähe gleichartigen Teilen billigen Porzellans. Sie sah nachgezogene Linien, wo Augenbrauen ausgezupft und angehoben worden waren zu bleistiftdünnen Höhen der Arroganz. Eine Frau mit einem beeindruckenden Heiligenschein aschblonden Haars schleuderte ihre Schuhe von sich, und an ihrem schmalen Fuß trat ein großer, champignonfarbener entzündeter Ballen zutage." Ohne damit die Beobachteten zu erniedrigen - deren Schönheit und Hässlichkeit werden gleichermaßen beschrieben - zeichnet Paula Fox ein desillusioniertes Bild des Vorkriegsamerikas. Nicht zuletzt ist sowohl der Erzählerin als auch der Beobachterin ein Schmerz der Betrachtung anzumerken, denn beide wissen: der falsche Glanz soll nur eine leere Hülle umspielen.

Annie macht einfach immer nur weiter, ohne Ziel und ohne Zweck. Hatte ihr Vater ihr doch klar gemacht, dass, wenn man sich etwas wünsche, es zu Asche zerfalle. Erwartung sei alles. Und so wartet sie.

Paula Fox erzählt. Quälend langsam, dabei aber äußerst präzise und verknappt in der Beschreibung ist ihre umwegige Sprache. Auch sie wartet, lässt sich Zeit. Die Charaktere bleiben schemenhaft. Ihr Hintergrund heißt Kalifornien; Landschaft und Personal sind bloße Dekoration. Sensibel und mit einem Gespür für Zwischenräume lotet sie die perfekte Kulisse aus, bei der Hollywood und Holocaust so eng beieinander liegen. Die Zeitgeschichte tritt in den Hintergrund zugunsten der individuellen Erfahrung von Zeit: "Die Geschichte kündete bloß vom Geschichtenerzählen selbst." So begreifen die Kalifornier die europäische Politik auch erst, als ihnen der Geruch von Zyklon B schon in die Nase steigt. Angesichts dieser Bedingungen wird die Sprachlosigkeit der Menschen begreifbar. Dialoge laufen ins Leere, die Stummfilmschauspieler erweisen sich als die großen Verlierer der Traumfabrik. Die Leere der Worte aber bringt eine Fülle von Zeichen hervor, seien es gesplitterte Fingernägel oder eben zu stark gebräunte Körper. Annie nimmt die ihr eklen Zeichen wahr, schärft ihre Beobachtungsgabe und wird langsam abgeklärter - gleichgültig wird sie nicht.

Anders als in ihrem ersten Roman verfällt Paula Fox nicht länger der Attitüde, Elend durch die Schilderung von Verwahrlosung präsent werden zu lassen. Sie verlegt sich auf die Innenperspektive, benennt Brüche nicht, sondern stellt sie handlungsimmanent dar. Damit hat sich Paula Fox von der Kulissenhaftigkeit gelöst, die "Was am Ende bleibt" prägte, und ihren Weg gefunden - mit 77 Jahren eine berührende Entdeckung aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das ein wenig schönfärberisches, dafür umso behutsameres Bild der amerikanischen Wirklichkeit zeichnet.

Titelbild

Paula Fox: Kalifornische Jahre. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Susanne Röckel.
Verlag C.H.Beck, München 2001.
488 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3406471528

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