Der letzte Zeichner und sein Autor

Robert Gernhardt diskutiert über sein Fanal

Von Johannes MöllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johannes Möller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Luther, Luther, wenn ich das schon höre, außer Thesen nix gewesen."
(Robert Gernhardt, zitiert nach Harry Rowohlt, "Pooh's Corner")

Nein, das wird man über Robert Gernhardt dereinst nicht sagen können. In seinem 1999 erschienenen Buch "Der letzte Zeichner" hatte er pointiert die gesamte moderne Kunst in Frage gestellt, hatte Widerspruch angemeldet und provoziert. Gerd Dengler, Professor an der Münchener Akademie der Bildenden Künste, nahm dies zum Anlass, Gernhardt zu Vortrag und Diskussion mit den Hauptbetroffenen einzuladen: mit den angehenden Künstlern und ihren Hochschullehrern.

Auch die Protagonisten des titelgebenden Essays sind Meister und Schüler: Beide haben sich im Kunsttempel verschanzt, der langsam aber sicher vom Erzfeind der Kunst erobert wird, vom ewigen Dilettanten. Wie es soweit kommen konnte, erzählt "der Alte" dem Jüngling in einem hochfahrenden Monolog, einer "Kunst-Geschichte der Verluste": Schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sei die bis dahin untrennbare Einheit von Kunst und "überprüfbarer Begabung" aufgekündigt worden. Die Verbrüderung von Dilettant und Literat habe das Kunstwerk in seiner Bedeutung hinter die Empfindung und Gesinnung des Künstlers zurücktreten lassen. Schließlich hätten die Kunstdeuter und Ausstellungsmacher die Herrschaft über den Kunstbetrieb übernommen. Der erweiterte Kunstbegriff, der für die Verdrängung der Bilder durch Rauminstallationen und Alltagsgegenstände stehe, sichere diese Herrschaft, denn je weniger es zu sehen gibt, desto mehr lässt sich darüber reden.

Diese wütende Generalabrechnung kann nicht vorbehaltlos als Lehrgebäude Gernhardts verstanden werden. Zu distanziert führt er die Figur des Alten ein, der nicht nur versoffen und großväterlich argumentiert, sondern dessen Borniertheit sich auch darin zeigt, dass er seinen Schüler kein einziges Mal zu Wort kommen lässt.

Ganz im Gegensatz dazu stand Gernhardt dem Publikum gewissenhaft Rede und Antwort. Dieses hatte die ironische Brechung klar erkannt und zog sogar in Betracht, dass Gernhardt es hier als "Agent Provocateur" nur auf entlarvenden Beifall von der falschen Seite abgesehen habe. Vorsichtig tastete man sich an die Frage heran, die auch manchen Leser des Buches bewegt haben mag, was denn der ungebrochene Kern in Gernhardts Aussagen sei.

Doch, Gernhardt bedauert es, dass zeichnerische Begabung heute nicht mehr als Hochkunst, sondern nur noch als Cartoon und Karikatur gefragt ist. Sicher gibt es unter den modernen Künstlern noch talentierte Zeichner, doch die fristen Randexistenzen wie Horst Janssen, oder reüssieren wie Joseph Beuys unabhängig davon.

Ob mit dem Wunsch nach "überprüfbarer Könnerschaft" nicht Kunst und Kunstfertigkeit unzulässigerweise gleichgesetzt würden, und ob nicht gerade dem technisch perfekten Raffael es manchmal an Substanz und Beseelung mangele? Gernhardt weiß sehr genau zwischen der erlernbaren Kunstfertigkeit und dem, was der Künstler daraus macht, zu unterscheiden. Allerdings ist sein Respekt vor brillanter Technik doch so groß, dass er auch mal auf die Seele verzichten könnte, für die gebe es schließlich Caspar David Friedrich.

Für die Frage, warum denn der Maßstab überhaupt verloren gehen konnte, wollte ein Zuhörer die peniblen Belege aus der Philippika des "Alten" bemühen. Dieser zitiert den Wortlaut des Vertrags zwischen dem Würzburger Fürstbischof und dem Dilettanten Joseph Visconti, nach dessen Entlarvung als Scharlatan Giovanni Battista Tiepolo das Treppenhaus der Residenz freskiert (der "vielleicht letzte lichte Moment" der Kunstgeschichte). Dort nämlich verpflichtet sich der Künstler, "dergestalten zu mahlen, daß an seiner Kunst und Arbeit männiglichen ein vollkommens Vergnügen haben solle". Spricht das nicht die Bedingungen für die Überprüfbarkeit aus: erstens die eindeutige Festlegung des Kunstzwecks, nämlich "Spaß bereiten, Frohsinn spenden" -, um mit Gernhardts Gedicht "Was ist Kunst?" statt mit dem barocken Kanzlisten zu sprechen - und zweitens die Bestimmung eines breiten Adressatenkreises für die Kunst? Den Versuch, so eine normative Ästhetik zu etablieren, lehnt Gernhardt entschieden ab. Da hält er es doch lieber mit Fontane, der vom Kunstwerk erhoben oder erschüttert oder erheitert oder gedanklich beschäftigt werden will: Das lässt dem Künstler immerhin vier Möglichkeiten und setzt den nachdenklichen, den Schöpfungsprozess nachvollziehenden Kunstbetrachter voraus.

Der Abend machte vor allem zweierlei deutlich: Vom "Alten" unterscheidet sich Gernhardt nicht so sehr in seiner Klage als vielmehr durch seinen Humor. Und dass er seine Positionen nicht mit dem Sendungsbewusstsein eines religiösen Führers vertritt, erkennt man an seiner differenzierten, geistreichen und stets kritikoffenen Argumentation.

Titelbild

Robert Gernhardt: Der letzte Zeichner. Aufsätze zu Kunst und Karikatur.
Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Zürich 1999.
288 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3251004417

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