Ein Schiff mit Hollywood-Schlagseite

Pavel Kohout erzählt Belangloses

Von Helmut KretzlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Kretzl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schiffe erfreuen sich unter Romanautoren anhaltender Beliebtheit. In jedem Verkehrsmittel sind Raum und Zahl der auftretenden Personen begrenzt und überschaubar, komplexe Handlungsabläufe und Entwicklungen lassen sich bei einer längeren Schiffsreise aber besser darstellen als im Autobus oder Flugzeug.

Das macht sich der renommierte tschechische Autor Pavel Kohout in seinem jüngsten Roman zunutze. "Die lange Welle hinterm Kiel" verzichtet auf eine äußere Katastrophe à la Titanic. Die vier zentralen Figuren mit ihren Vorgeschichten und Absichten horten genug explosives Potenzial für eine spannungsreiche Handlung. Dieses Kalkül des Autors geht aber nur zum Teil auf. Hier sinkt nicht das Schiff, sondern das Niveau, jedenfalls gemessen an vielen anderen Büchern des in Wien und Prag lebenden Autors.

Die Handlung beschränkt sich auf zwei ungleiche Paare, die sich neu formieren, um dann wieder in neuen bzw. alten Konstellationen aufzugehen. Die beruflich erfolgreiche, von ihrem Mann aber wegen einer anderen Frau verlassene Ärztin Silvia Burian ist seelisch am Ende. Sie will auf der Reise einen Schlussstrich unter ihr Leben setzen. Die hübsche junge Frau erweckt das Interesse des 21-jährigen Siegfried Gross, der seiner älteren reichen Tante bei dieser Kreuzfahrt "als Kavalier oder Knappe" zur Seite steht.

Gegen den anfänglichen Widerstand Silvias entspinnt sich eine zarte Liebesgeschichte mit Siegfried. Auch die beiden älteren Herrschaften finden zueinander, wenn auch auf ganz andere Weise. Sie sind durch eine dunkle Episode der tschechischen Geschichte verbunden. Als junges Mädchen war die Sudetendeutsche in den Tschechen verliebt, doch Jahre später führten politische Ereignisse zu Hass und Feindschaft.

Es ist unbestreitbar ein Verdienst des vormaligen Regimekritikers und Weggefährten Va?lav Havels, die noch immer nicht vernarbten Wunden der tschechischen Vergangenheit zu thematisieren, sowie das im Namen des Nationalismus begangene Unrecht. Kohout, längst Doyen der tschechischen Literatur, weiß genau, wovon er schreibt. Wiederholt hat er in seinen Büchern die Zeitgeschichte seines Landes in intelligente und spannende Handlungen verpackt, häufig auch in ironischer Weise. Anders hier. Dieses Schiff ist mit gefährlich wenig Tiefgang unterwegs und lässt Schlagseite erkennen. Klischeehaft hingeworfen erscheinen die Figuren - zu bald wird der Handlungsverlauf berechenbar -, den großen Gesetzen der Hollywood-Dramaturgie gehorchend.

Kohout greift tief in die emotionale Schublade: Da verführt der gut gebaute Muskelmann die lebensmüde Ehefrau zur großen Liebe. Siegfrieds reiche und geizige Tante lässt mit ihren Launen als "beispiellose Krawallmacherin" Kapitäne erzittern. Silvias Mann bedient sich für seinen Seitensprung natürlich seiner Sekretärin, die Französin ist und Angèlique heißt.

Entsprechend dick wird Pathos aufgetragen: "Siegfried Gross war auf sie mit der ganzen Rasanz losgegangen, die seinem Alter und Aussehen entsprach, und als er auf Granit stieß, benahm er sich nicht wie ein eitler Geck, sondern wie ein intelligenter Junge, dem sie eine Entschuldigung wert war. Er hatte ihr sein Vertrauen geschenkt, und als so unerwartet der Schatten eines blutigen Dramas auf sie beide fiel, in dem seine Tante und ihr Schwiegervater absolut kontrovers agierten, hatte er sich überraschend des logischen Denkens und Handelns fähig gezeigt."

Das tadellos übersetzte Buch schrammt nur um ein Haar am Absturz ins Klischee vorbei. Die süßlich-tragische Liebesgeschichte nimmt deutlich mehr Platz ein als die Vergangenheitsbewältigung. Als Fazit und Begründung könnte dienen: "Du kannst dich damit nicht auskennen. Es kennt sich auch keiner aus außer uns, die wir theoretisch ja bereits tot sind."

Titelbild

Pavel Kohout: Die lange Welle hinterm Kiel.
Aus dem Tschechischen von Karl-Heinz Jähn.
Knaus Verlag, München 2000.
317 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-10: 3813501132

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