Winnetous Freunde

Mit "Old Shatterhand - das bin ich" kommt eine neue Karl May-Biographie in den Handel

Von Heike SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Hintertreppenromancier" ist gemein. "Großmystiker" wohl übertrieben. Aber Mythos ist es schon, was Karl May, den Erfinder Winnetous, Old Shatterhands, Kara Ben Nemsis und Co. noch heute umgibt. Hans Wollschläger veröffentlichte 1965 in Rowohlts Bildmonographien die erste Biographie und ist damit der erste und immer noch grundlegende May-Biograph. "Grundriß eines gebrochenen Lebens", das war der bedeutungsschwangere Untertitel dieser ersten wissenschaftlichen Biographie. Frederik Hetmann macht einen neuen Versuch, die Lebensgeschichte des gebürtigen Sachsen zu skizzieren. Hetmann ist vielleicht nicht May-Experte, aber anscheinend leidenschaftlicher Biograph. Bereits Jack Kerouac, Che Guevera, Karoline von Günderrode, Rosa Luxemburg und einigen anderen mehr hat sich Hetmann bereits zugewandt.

In diesem Fall will er vor allen den jungen Lesern in simplifizierter Form das komplizierte Leben Karl Mays näher bringen. Und hat dabei ein entscheidendes Problem: die Sekundärliteratur existiert bereits in Hülle und Fülle und zwei gelungene, obwohl kontroverse Biographien liegen auch vor: neben der Arbeit Wollschlägers die von Arno Schmidt. Und auch Karl May selbst war nicht müde über sich selbst nachzudenken. 1910 wurde eine Autobiographie unter dem Titel "Mein Leben und Streben" veröffentlicht.

Welche Faszination löst Mays Lebensgeschichte heute noch aus, fragt sich Hetmann und antwortet zugleich:

"Weil man an ihr miterlebt, wie ein vom Schicksal benachteiligter und verletzter Mensch sich am Ende aus dem Sumpf, in den er durch seine Torheiten hineingerät und zu versinken droht, herausarbeitet, sich einen Beruf wählt und Erfolg hat. Wie also dieser kriminell gewordene junge Mann zu einer sinnvollen Lebensaufgabe gelangt, jener nämlich, andere Menschen zu unterhalten, indem er Geschichten erzählt."

Karl May - der Inbegriff des resozialisierten Knastis mit Märchenfaible? Wenn das Hetmanns Grundidee für diese Biographie ist, verdient sie einen staubigen Platz im Regal. Ein Funken Wahrheit steckt trotzdem in Hetmanns Worten. Auch meiner Meinung nach gehört Karl May sicherlich zu den schillerndsten, abenteuerlichsten und tragischsten Figuren der deutschen Literaturgeschichte.

1842 wird er als fünftes von insgesamt 14 Kindern einer Weberfamilie in der Nähe von Chemnitz geboren. Er wächst in ärmlichen Verhältnissen auf, klaut und betrügt schon als Kind, später folgen diverse Gefängnisstrafen. In der Zeit der Haft beginnt er mit dem Schreiben. Nach einigen Kolportageromanen entstehen schließlich die insgesamt 33 Bände der "Reiseerzählungen", die für seinen langanhaltenden Erfolg maßgeblich waren. Obwohl er selbst erst spät aus Sachsen heraus kam, versetzte er die Leser in die Welt des Orients zu Hadschi Alef Omar und in den amerikanischen Westen auf die Spuren Winnetous und Old Shatterhands. Die Biographie Hetmanns weist eine wesentliche Qualität auf: wir erfahren nahezu alles über Karl Mays Leben, fleißig hangelt er sich an den 70 Lebensjahren entlang, erstellt eine strenge Chronologie der Vita Mays in elf Kapiteln und sieben Exkursen zu seinem schriftstellerischem Werk. So solide er die Lebensdaten des selbsternannten Old Shatterhand zusammenträgt, so unbefriedigend sind die interpretatorischen Ausflüge zu Texten von Karl May. Dem durch Mays schwierigeres Spätwerk angestrengtem Leser empfiehlt er Hans Wollschlägers Aufsätze zu lesen - als beste Interpretationshilfe. Anscheinend ist er selbst nicht in der Lage, ein fundiertes Urteil zu treffen: "Der Leser prüfe selbst, ob ihm dieser ungewöhnliche Roman gefällt oder nicht."

Frederik Hetmann ist nicht konsequent und nicht engagiert genug. Selbst dem eigenen Ziel, jugendliche Leser zu erreichen, wird er nicht gerecht, wenn er mit Freudschen Thesen Mays Seelenleben analysiert. Exkurse in das Gesamtwerk Karl Mays sind nur dann erfolgreich, wenn mit ihnen eine eingehende und vor allem auch eigene Interpretation erfolgt.

Hetmann hat eines ganz sicher getan: er hat sich durch die Sekundärliteratur zu Karl May gelesen und kann uns Lesern gewiss empfehlen, welches Buch wir stattdessen über den Erfinder von Winnetou und seinen Freunden gelesen hätten. In diesem Sinne: Hugh - ich habe gesprochen!

Titelbild

Frederik Hetmann: "Old Shatterhand, das bin ich". Die Lebensgeschichte des Karl May.
Beltz Verlagsgruppe, Weinheim/Basel 2000.
318 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3407808720

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