Mehr Fräulein als Wunder

Die Anthologie "West-östliche Diven" hält nicht, was ihr Titel verspricht

Von Judith LiereRSS-Newsfeed neuer Artikel von Judith Liere

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manche Bücher werden ihren Titeln nicht gerecht. Die Anthologie "West-östliche Diven", herausgegeben von Ulrike Ostermeyer und Sophie Zeitz, ist eines davon. Der Titel ist intelligent gewählt, schlägt er doch zum einen über die Goethe-Anspielung den Bogen zur hohen Literatur und impliziert zum anderen das Bild einer durch und durch weiblichen, kosmopolitischen Künstlerin, die selbstbewusst auf den Bühnen der Welt auftritt.

25 deutschsprachige Autorinnen kommen in dieser Anthologie zu Wort, die meisten von ihnen sind etwa Jahrgang 1970 und fallen somit in die Kategorie des literarischen "Fräuleinwunders". Einige werden schon länger unter diesem Titel gehandelt, wie beispielsweise Alexa Hennig von Lange, Terézia Mora und Julia Franck, andere sind weniger bekannt. Außer ihrem Alter scheinen die Autorinnen allerdings nicht viel gemein zu haben, betrachtet man ihre Texte, die in Bezug auf Qualität und Thematik unterschiedlicher kaum sein könnten. Und so entpuppt sich der Großteil der Schriftstellerinnen leider doch mehr als "Fräulein" denn als "Wunder".

Auftakt der Anthologie bildet die Erzählung "Mein Portier" von Julia Franck. Kafkaesk beschreibt sie darin die Machtlosigkeit ihrer Protagonistin, der nach einer langen Anreise der Zutritt zu ihrem reservierten Zimmer einsilbig vom Portier verweigert wird, weil sie nun mal kein Notfall sei. Wieder gehen darf sie allerdings auch nicht, weil es nach Aussage des wortkargen Türhüters gegen die Ordnung wäre, deren Bewachung seine Aufgabe sei. Ähnlich bedrückend ist der Text von Christin Vallinkoski, der ebenfalls zu den wenigen Höhepunkten des Bandes gehört. "Dich in mir zu Ende denken" erzählt auf sehr stille Weise die Geschichte einer Abtreibung, eine Geschichte, die durch ihre ruhige, beinahe schon apathische Darstellung verstörend wirkt. Hier entstehen Bilder von tiefer Traurigkeit, die noch lange nachwirken, wie die Träume unter Narkose und die Gedanken an das gerade sterbende Kind: "Und sie sieht das Kind, das durch sie hindurchreist. Kein Gesicht, kein Körper, nur ein warmer Luftzug. Mein Kind. Wird es warm sein? Ein Zimmer ausgekleidet mit rotem Moos. Die Kälte wird dich herausreißen. Und ich bin deine Kälte. Laufe nicht barfuß auf mir, ich könnte dich verletzen."

Besonders nach dem Lesen dieser Erzählung fällt es schwer, sich wieder auf den Stil der anderen Autorinnen einzulassen. Zu beliebig wirken die Geschichten und zu banal deren Themen, wie etwa in "City Girl" von Doris Kuhn. Ihr Text handelt von den Qualitäten der Hollywood-Schauspielerin Linda Fiorentino und wäre vermutlich in einer Filmzeitschrift besser aufgehoben als hier im direkten Anschluss an die bedrückende Geschichte von Christin Vallinkoski. Ähnlich fehl am Platz erscheint "Dressed to Chill" von Marcia Zuckermann, eine Glosse über unmögliche weibliche Schuhmode, die aus unverständlichen Passagen wie dieser besteht: "Mal ehrlich: Nur wer in den Siebzigern aussah, als käme Mutter Teresa gleich mit der Letzten Ölung, konnte hoffen, der Nachwelt wenigstens als Storch mit Betonfußbad in Erinnerung zu bleiben. Der Rest mopste für immer."

Leider überwiegt in dieser Anthologie die Anzahl der Texte, die ein Gefühl der Ratlosigkeit hinterlassen. Und so steht auch der Titel nicht wirklich für den Inhalt das Buches, zwar treten die Autorinnen darin durchweg recht selbstbewusst auf, aber zu gefeierten Diven auf der Bühne der Literatur werden sie dadurch allein noch nicht.

Der Anspruch der beiden Herausgeberinnen war es laut Klappentext zu zeigen, dass sich die Vielfalt der Stimmen der jungen Autorinnen nicht auf eine Tonlage festlegen lässt. Trotzdem wäre es wohl ihre Aufgabe gewesen, durch eine andere Auswahl der Texte oder zumindest durch eine durchdachtere Reihenfolge den Versuch zu machen, dem Leser dieses, im Ganzen betrachtet, undurchdringlich wirkende Stimmengewirr verständlicher zu präsentieren. Hätten sie einzelne Stimmen deutlicher hervorgehoben, andere leiser gestellt oder ganz ausgeschaltet und versucht, eine Melodie aus der wilden Tonfolge zu komponieren, wäre vielleicht nicht die Ratlosigkeit darüber, was denn nun die neue Generation der deutschsprachigen Schriftstellerinnen zu sagen habe, das einzig bleibende Gefühl gewesen.

Titelbild

Ulrike Ostermeyer / Sophie Zeitz (Hg.): West-östliche Diven. Anthologie.
dtv Verlag, München 2000.
234 Seiten, 11,20 EUR.
ISBN-10: 3423242264

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