Von der Imitation zur Evolution

Populärwissenschaftlich aufbereitet beschreibt Susan Blackmore die "Macht der Meme"

Von Oliver van EssenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver van Essenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Susan Blackmores "Die Macht der Meme" bietet alles, was ein wissenschaftliches Buch populär macht: persönlich gefärbte Anekdoten, eine anschaulich dargestellte, flott geschriebene Theorie, die von einer zentralen These ausgeht und hier und da ein bisschen Kulturkritik mit einfließen lässt. Die Autorin arbeitet als Dozentin für Psychologie an der Universität in Bristol und ist mit der Theorie der Memetik nebenbei als Journalistin in diversen Medien präsent.

Das Konzept ist nicht neu. Der Zoologe Richard Dawkins führte den Leitbegriff bereits mit seinem 1976 veröffentlichten Buch "The Selfish Gene" in die Diskussion ein. Die nahe liegene Assoziation, Mem von Memory herzuleiten, führt auf die richtige Spur. Ein Mem ist eine Gedächtnisspur, aber eine besondere, eine durch Imitation erworbene. Auf der Annahme, dass damit neben den Genen ein genuin menschlicher Reproduktionsmechanismus existiert, baut die Theorie auf. Die Kategorie der Imitation ist daher extrem weit gefasst. Als Formen der Imitation versteht Susan Blackmore alle vorgefertigten Repräsentationen, auf die sich Menschen stützen müssen, um effektiv kommunizieren zu können.

In der ersten Hälfte des Buchs gibt sie der kulturellen Evolution anhand der Memetik zuweilen eine sehr problematische Interpretation als Kampf ums Überleben. Man meint den hundertsten Aufguss des Sozialdarwinismus zu lesen, wenn sie vom Wettbewerb der Meme spricht, der eine ,natürliche' Auslese bewirke. In gebetsmühlenhaft wiederholten Wendungen werden zunächst die Schwächen einer biologistischen Theorie, die Gene als Determinanten der Evolution voraussetzt, beschrieben, während mit der Memetik anscheinend alles anders werden soll.

Es lohnt sich indes weiterzulesen, denn die Autorin ist sich der Grenzen ihrer Theorie sehr wohl bewusst. Imitiert werden nur zwischenmenschliche Verhaltensweisen, die nicht angeboren sind. Ebenso wenig lässt sich die Umwelt der Gesellschaft imitieren, auch wenn diese einen Einfluss auf die Evolution hat, durch Gene einerseits und durch soziales Lernen andererseits.

Die Autorin geht von empirisch und experimentell überprüften Befunden aus und deutet diese anhand eines kulturanthropologischen Modells. Imitation setzt die Fähigkeit zu einem Rollentausch voraus: Menschen versuchen, die Perspektive des anderen einzunehmen, zu erkennen, was anderen von Vorteil ist, um es schließlich erfolgreich zu imitieren. So weit, so gut. Ob dies der Grund dafür ist, dass Menschen ein überdimensioniertes Gehirn haben, wie Blackmore annimmt, erscheint etwas spekulativ. Ebenso die Annahme, dass Menschen nur deshalb so viel reden, weil dies der Verbreitung ihrer Meme dienen soll. Sozialdarwinistisch interpretiert bedeutet dies: Durch den Wettbewerb der Meme entsteht ein Selektionsdruck, bei dem die geschickten Redner am meisten Anhänger, also auch Macht an sich ziehen. Da Macht zugleich ein sexueller Attraktor ist - je höher der soziale Status, desto attraktiver der Mann - haben einflussreiche Männer die besseren Chancen, dass sich eine Frau mit ihnen paart und so ihre Fähigkeiten tradiert werden.

Titelbild

Susan Blackmore: Die Macht der Meme oder Die Evolution von Kultur und Geist.
Übersetzt aus dem Englischen von Monika Niehaus-Osterloh.
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg/Berlin 2000.
414 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3827410029

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