Frosch oder Prinz

Sibylle Mulot gibt Liebenden Winke und Hinweise

Von Eva LeipprandRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Leipprand

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Welche Frau kennt ihn nicht, den Traum vom Prinzen, der plötzlich strahlend schön und wie aus einer anderen Welt in unser Leben tritt und, feuriger Liebhaber und unerschütterlicher Beschützer zugleich, unser Leben auf ewig in seine festen Hände nimmt? Wie man einen solchen Prinzen bekommt, wenn er sich nicht selber zeigt, lernen wir im Märchen vom Froschkönig: indem man nämlich den Frosch an die Wand schmeißt, weil der König will, dass wir ihn lieben. Die Verwandlung geschieht durch das Machtwort des Vaters.

Soweit der Märchentraum. Leider verschweigt er uns die Fortsetzung - wie häufig der Prinz dann wieder zum Frosch wird, wenn der Glanz der Vaterprojektion erlischt, und was geschieht, wenn der Froschprinz, der ja seine eigenen Märchenträume hat, uns die Prinzessinnenrolle nicht mehr abnimmt.

"Das ganze Glück" nennt Sibylle Mulot verheißungsvoll ihren neuen Roman, und dann noch, um ja keinen Zweifel zu lassen: "Eine Liebesgeschichte". Das Buch ist schmal, enthält aber doch das ganze komplizierte Froschkönigsdrama. Sanda, eine deutsche Kunststudentin in Wien, entbrennt für Ferraghani, ihren "indischen Prinzen", der zwar aus dem Iran kommt, aber das tut nichts zur Sache, er ist einfach aus dem geheimnisvollen Orient, schön und dunkel. "Sie versanken so vollständig ineinander, dass es wie ein Wunder erschien." Weil es nicht anders sein kann, folgt auf den Rausch der Verschmelzung die Ernüchterung. "Sie verwandelten sich in zwei Enttäuschte, beide mit einem Kummer, den sie nicht teilen konnten." In Sandas Alptraum wird aus dem Prinzen ein glotzender Frosch. Sie merkt, wie wenig sie Ferraghani kennt, wie er doch kaum mehr ist als der "Schatten dieser Hauptfigur", des Vaters. Und wie mag sie ihm erschienen sein, der doch aus einer ganz anderen Kultur kommt? Im Unglück dieser Liebesgeschichte (und durch die hinterhältige Nachhilfe der Rivalin Zenta) erkennt Sanda das Muster, das ihrem Leben zugrunde liegt - warum sie so reagiert, wie sie es tut, auch dass sie selbst als selbstbewusste Frau sich gar nicht wirklich binden will. Eine Märchenprinzessin ergibt sich dem Prinzen mit Haut und Haar. Sie nicht; sie nennt ihn nicht einmal beim Vornamen. Jahre später (Sanda ist inzwischen Chefkuratorin) stellt Ferraghani fest: "Es ging nicht, weil wir beide herrschen wollten", und sie führt dies auf die "Selbstverfürstlichung" der heute im Abendland lebenden Menschen zurück.

Im Grunde handelt das Buch von der auch mit literarischen Anspielungen untermauerten Erkenntis, "dass die Gemeinschaft von zwei Menschen nie die vollkommene Erfüllung, die hundertprozentige Einheit bringen kann". Die Fremdheit dieses Paares wird noch durch die unterschiedliche Hautfarbe, die unterschiedlichen Kulturen unterstrichen. Ferraghani selbst wird in der Erzählung nicht richtig greifbar - dies mag an Sandas Wahrnehmung liegen, durch deren Augen wir das Ganze sehen. Er ist tatsächlich eine mit hingetupfter Orientalik dekorierte flache Projektion, die sich auch in den Dialogen nicht wirklich rundet.

Ein hübscher Motor dieser Liebesgeschichte ist das Hafis-Orakel. Die sanften Sprüche des persischen Dichters, in Tafeln verrätselt und in Krisensituationen zu Rate gezogen, wirken klärend und wohltuend für die, die daran glauben, die "Zeichen, Omen, Wink und Hinweis" suchen, die Liebenden, die unbedingt wissen wollen, ob sie zusammenpassen oder nicht. In ihren reiferen Jahren braucht Sanda das Orakel nicht mehr, sie hat ja nun die Lebensmuster erkannt und weiß, sie ist sich selbst ihr eigenes Orakel. Doch sind die einundvierzig Tafeln (in deutscher Übersetzung und mit Gebrauchsanweisung) dem Büchlein beigefügt. Der Leser wird nicht widerstehen können und selbst einen Versuch wagen. Doch was sich dann daraus ergibt, das ist eine andere Geschichte.

Titelbild

Sibylle Mulot: Das ganze Glück. Eine Liebesgeschichte. Mit einem Hafis-Orakel.
Diogenes Verlag, Zürich 2001.
176 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-10: 3257062648

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