Abenteuer aus Feuerland

Erzählungen des chilenischen Literaturpreisträgers Francisco Coloane

Von Mona DenzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mona Denzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer Abenteuergeschichten mag und für Melville einen geeigneten Nachfolger sucht, der sollte sich Francisco Coloane nicht entgehen lassen. Sein Erzählband "Feuerland" präsentiert neun Geschichten von Goldsuchern, Seefahrern und Walfängern, die auf der Suche nach Glück die Südspitze des amerikanischen Kontinents durchstreifen. Bereits 1956 erschienen die Erzählungen in spanischer Sprache, der Unionsverlag brachte die erste deutsche Übersetzung 1996 heraus. Seit 1999 liegen nun Coloanes spannende Geschichten in einer Neuausgabe vor.

Die Stärke dieser detaillierten Fiktionen liegt in der dichten Verknüpfung von Handlungsverlauf und Naturschilderungen, so dass es der Leser durch diese Parallelführung leicht hat, in das chilenische Panorama hineinzuschlüpfen.

So in der titelgebenden Erzählung "Feuerland", die von zwei Goldsuchern handelt, die sich aus der Knechtschaft eines reichen Dienstherren befreien. Auf der Flucht, nach einem Aufstand gegen einen machthungrigen Despoten, wird einer der Männer verletzt und ist auf die Pflege des anderen angewiesen. Der bisherige Lebenssinn beider, die einsame Gier nach dem Versprechen des Goldes, wird für kurze Zeit aufgehoben. Während dieser Zeit blüht der patagonische Sommer und gleichzeitig durchleben die beiden Männer eine "Brise von Menschlichkeit", von deren "wohltuender Frische" sie lange nicht mehr berührt worden sind. Der Wechsel der Jahreszeiten lässt sich als Seismograph der Freundschaft lesen, so dass zeitgleich mit Herbststürmen und verblühender Pflanzenwelt auch die kurzzeitige Loyalität endet, die sich beide Männer entgegenbringen.

Durch die Ausgestaltung der Natursymbolik mit starken Bildern in dieser und anderen Geschichten, hebt Coloane subtile psychische Befindlichkeiten der Figuren hervor und verbindet Natur und Handlungsgeschehen zu einem dichten Geflecht.

Die Helden, die Coloane in seine Landschaften setzt, sind wortkarg, verrückt und eigen. Er portraitiert sie genau, liebevoll und ohne Wertung. Ins landschaftliche Gefüge eingelassen sind sie "bald sanft wie die Meeresbrise, dann wieder unbarmherzig wie der Westwind" . Die meisten Figuren sind Männer, die besser reiten können als reden, so dass ihre Tage mehr durch gemeinsam verzehrtes Dörrfleisch am Lagerfeuer denn durch Wortwechsel gekennzeichnet sind.

In der Erzählung "Eisberg unter Wasser" z. B. wird die Wortkargheit eines alten Mannes das wichtigste Moment des Spannungsaufbaus. Auf der Suche nach Arbeit verschlägt es den Erzähler auf eine Insel namens "Navarino". Er soll einem alten Einsiedler, der am Fuße eines Gebirgsmassivs mit seiner indianischen Frau und seinen Kindern lebt, beim Schafehüten helfen. Der Erzähler merkt bald, dass die Arbeit aus Nebensächlichkeiten besteht und seine Arbeitskraft überflüssig ist. Alle Versuche, mit dem alten Mann vom Schlage "slow talking deep thinking hero" in Kontakt zu treten, schlagen fehl, weil die Ausstrahlung des Alten frostig ist wie ein Eisberg. Schließlich entscheidet er sich, mit dem nächsten Versorgungsschiff abzureisen, wie viele andere vor ihm auch. Am Morgen der Abreise jedoch hat der Alte den Fremden ans Bett gebunden und dieser kann sich nur in letzter Minute aus der Gefangenschaft befreien, um auf das Schiff zu gelangen. Wieviel Zärtlichkeit und Fürsorge aber hinter diesem "Eisberg" steckt, erfährt der Erzähler erst im Moment des Abschieds, als der alte Mann seine verzweifelte Tat bereut, von seinem nahenden Tod erzählt und den Fremden darum bittet, um Frau und Kinder willen auf der Insel zu bleiben, weil kein indianischer Mann sich um eine Frau kümmern würde, die vorher mit einem Weißen gelebt hat.

Coloane, der "Pionier der Abenteuergeschichten auf dem südamerikanischen Kontinent", erhielt 1964 den Nationalen Literaturpreis Chiles. Er behauptet von sich, er gehöre selbst zu den unaufhaltsamen Reisenden und erzähle von der "Seele des chilenischen Menschen [...], die sich mit dem Meer konfrontiert sehen, mit den Golfen, den zerklüfteten Kordilleren, die im Lauf von Jahrtausenden vom Eis des Südens geformt und vom wildesten Ozean unseres Planeten erodiert wurden."

Seine "dröhnende Stimme", die das "literarische Panorama durchdringt" und die Luis Sepulva im Vorwort rühmt, erzählt in einer bildreichen Sprache von dieser kargen, fernen Gegend.

Titelbild

Francisco Coloane: Feuerland. Erzählungen.
Unionsverlag, Zürich 1999.
200 Seiten, 8,60 EUR.
ISBN-10: 3293201334

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