Es ist doch Kunst
Ingeborg Bachmanns nachgelassene Gedichte verdienen eine freie Betrachtung
Von Johanna Backes
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseUnter dem Titel "Ich weiß keine bessere Welt" sind im vergangenen Jahr bisher unveröffentlichte Gedichte aus dem Nachlass Ingeborg Bachmanns erschienen. In den deutschsprachigen Feuilletons wurde eine Debatte um die Frage geführt, ob es legitim sei, diese Texte, die von der Autorin selbst nicht zur Publikation vorgesehen waren, zu veröffentlichen. Im Vorwort begründen die Bachmann-Geschwister Isolde Moser und Heinz Bachmann ihren Schritt, Teile aus Bachmanns Nachlass freizugeben, mit der Faszination, die von der Autorin und ihrem Œuvre nach wie vor ausgehe, und mit ihrem Wunsch, die Arbeitsweise ihrer Schwester zu verdeutlichen.
Entstanden sind die Gedichte zwischen 1962 und 1964, gleich nach der Trennung des Schriftstellerpaares Bachmann-Frisch, in einer Zeit größter Verzweiflung in Bachmanns Leben. Entsprechend vorschnell kam bei der Kritik der Eindruck auf, bei diesen Gedichten handele es sich um tastende Versuche, im Zuge einer Lebenskrise gegen die entstandene Sprachlosigkeit anzuschreiben. Rasch war man sich einig: die Gedichte seien unbeholfen, nicht auf der Höhe der sonstigen Produktion Bachmanns und ihres ästhetischen Bewusstseins, wie es beispielsweise im Lied "An die Sonne" zum Ausdruck kommt: "Schöner als der beachtliche Mond und sein geadeltes Licht, / Schöner als die Sterne, die berühmten Oden der Nacht, / Viel schöner als der feurige Auftritt eines Kometen / Und zu weit Schönerem berufen als jedes andre Gestirn, / Weil dein und mein Leben jeden Tag an ihr hängt, ist die Sonne."
Es stimmt, diese Form der Schönheitshymne ist hier nicht zu finden. Mut gehörte dazu, so eindeutig und ungebrochen von Schönheit und Berufung zu sprechen. Mut gehört aber eben auch dazu, von der anderen Seite, vom Hässlichen und vom Scheitern zu reden. Als Programm beinahe lassen sich die folgenden Zeilen lesen: "Meine Gedichte sind mir abhanden gekommen. / Ich suche sie in allen Zimmerwinkeln. / Weiß vor Schmerz nicht, wie man einen Schmerz / aufschreibt, weiß überhaupt nichts mehr." Neben dem existenziellen Verlust klingt hier die Identitätssuche an, die auf nahezu jeder Seite mal direkt, mal indirekt angesprochen wird und immer latent vorhanden ist. Für das Hintasten zur Identität, für die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, und für das immer mögliche Scheitern wagt sich Bachmann an die verbrauchte Metapher des Gedicht- bzw. Sprachverlusts. Dem Verlust entspricht eine Flucht in Worthülsen, in Redensarten, in Gesangsfetzen, in Stottern und Wiederholung: Mit den Worten "Trinken, was trinken" beginnt das Gedicht "Alkohol", und es endet im Delirium: "Und was Liebe und Krätzen und Fortschritt / es weiß ja jeder und wer nicht säuft, weiß / auch, es weiß ja jeder, das sag ich nicht mehr, / weiß weiß weiß weiß [...] / mehr sag ich nicht / als das jeder weiß".
Dieser Ausweglosigkeit wird in anderen Texten der Wunsch nach Rache und Vergessen, aber auch nach Liebe und neuer Gemeinschaft entgegengestellt: "Eine andere Rache als die gemeine", "An jemand ganz anderen" gerichtet. Annäherung und Entgegenkommen würden dagegen Selbstaufgabe bedeuten, "Auslöschen", denn "es ist gefährlich, die Menschen / zu lieben, ein Verbrechen / sich aufzudrängen", zumal sich weder ein Ort noch eine Person finden lassen, die das Bedürfnis nach Zugehörigkeit befriedigen könnten: "Du / möchtest jemanden lieben aber keinen / von ,denen'". Man "hetzt" stattdessen im Selbstgespräch durch den trostlosen Tag, an dem schon das Frühstück "mit Toten [...] eingenommen" wird.
Die "prästabilierte Harmonie" ist dem Subjekt verloren gegangen, ihr folgt Krankheit, Entfremdung und Leiden, die Endstation - "geruchlos, weißhemdig" - in "einem Bett, / in dem viele gestorben sind". Ohne Liebe stirbt die Kommunikation, bleibt der Dialog steril, wie in "Dosen verabreicht". All dies weiß Bachmann darzustellen, für jede "Einbruchslinie" der Biographie findet sie die angemessene Form. Der Betrachter, der sich von der rein biographischen Lesart zu lösen weiß, wird auch im Fragmentarischen, womöglich Unfertigen dieser Gedichte überdurchschnittliches Sprachgefühl, überlegte Komposition und Stimmigkeit entdecken. Hier wird mit Redewendungen gespielt, dort Doppelbödiges fein akzentuiert. Auch zwischen den Texten stellt sich Isotopie her, entstehen Wortwechsel zwischen existentieller Not und sozialer Katastrophe: "dass ich mir abgehe, dass ich abwärts / gehe, dass ich mich abgebe, // und schreie, weil die Irren / ihren Wärtern tasten suchen, wie / ich nach meinem Wärter".
Ein Teil der Gedichte wird faksimiliert wiedergegeben, so dass eine Anmutung von Bachmanns Handschrift erfahrbar ist. Wie aber steht es mit dem Anspruch der Geschwister Bachmann, die Arbeitsweise ihrer ,großen' Schwester dokumentieren zu wollen? Eine kritische Edition möchte "Ich weiß keine bessere Welt" nicht sein. Eine umfassende Kommentierung eines Teils der nachgelassenen Gedichte bietet bislang auch nur die von Hans Höller 1998 im Suhrkamp Verlag besorgte Edition. Gleichwohl wagen sich die Geschwister Bachmann weit vor, wenn sie behaupten: "Die Faksimiles der handschriftlichen Texte illustrieren die Arbeitsweise Ingeborgs und machen sichtbar, dass man es vielfach mit Fragmenten und Versuchen, aber nicht mit Endfassungen von Gedichten zu tun hat." Auf diese Deutung jedoch muss man sich keineswegs einlassen, der Zustand des Manuskripts allein lässt keine zwingenden Rückschlüsse auf das Stadium der Bearbeitung eines Gedichts zu. Im übrigen müsste erst diskutiert werden, wann ein Gedicht nach Bachmanns Verständnis fertig ist und wann nicht. Insofern stehen die einleitenden Worte dem freien und unvoreingenommenen Umgang mit Bachmanns Nachlass eher im Wege.
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