Vom Lesen und Schreiben am Beginn unserer Kultur

Otto Mazals Geschichte der antiken Buchkultur

Von Stefan SchornRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Schorn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der erste von insgesamt neun Bänden einer "Geschichte der Buchkultur", der die Zeit der griechisch-römischen Antike umfasst, stammt von einem ausgewiesenen Kenner der Materie. Der Verfasser Otto Mazal, Direktor der Handschriften- und Inkunabelnsammlung der Österreichischen Nationalbibliothek i. R. und außerordentlicher Professor der Byzantinistik an der Universität Wien, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wie kaum ein anderer mit der Entwicklung des Buches von der Antike bis zur Neuzeit beschäftigt. Von seinen zahlreichen monographischen Publikationen zum Thema seien hier nur genannt "Buchkunst der Gothik" (1975), "Buchkunst der Romantik" (1978), "Paläographie und Paläotypie" (1984), "Lehrbuch der Handschriftenkunde" (1986) und "Einbandkunde" (1997), denen sich zahlreiche hinzufügen ließen.

Der vorliegende Band wendet sich nicht in erster Linie an Altertumswissenschaftler - wenngleich auch Studenten der klassischen Antike von der Lektüre profitieren dürften - und setzt daher keine Kenntnis des Griechischen und Lateinischen voraus. Ebenso verzichtet der Autor auf einen "gelehrten Apparat" oder eine eingehende Diskussion kontroverser Ansichten. Das Werk ist daher aber nicht weniger seriös, sondern die Darlegung der Materie aus einem Guss aus der Hand eines Fachmanns.

Wie der folgende Abriss des Inhalts zeigen soll, fasst der Autor den Begriff der Buchkultur sehr weit: Das erste Kapitel legt für Leser, denen die Antike weniger vertraut ist, die Grundlagen für das Verständnis der folgenden, indem es kurze Abrisse der griechischen Literaturgeschichte von Homer bis in die römische Kaiserzeit und der lateinischen Literaturgeschichte vom dritten Jahrhundert v. Chr. bis in die Spätantike gibt. Hier gilt besonderes Augenmerk den antiken Bibliotheken. Das folgende Kapitel "Die Beschreibstoffe des Altertums" (d. h. Wachstafel, Papyrus, Pergament etc.) könnte nach dem Titel zu schließen trocken und langweilig sein, doch ist das Gegenteil der Fall. Hier fesseln die Ausführungen über die sensationellen Papyrusfunde, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Ägypten gemacht worden sind und unsere Kenntnis der griechischen Literatur merklich verbessert haben (etwa das Auffinden von Komödien Menanders, von Gedichten des Bakchylides und der "Verfassung der Athener" des Aristoteles). Nach der Besprechung der unterschiedlichen Buchformen (Rolle, Kodex) folgt die sozial- und bildungsgeschichtlich interessante Darstellung des Lesens und Schreibens in der Antike: Wer schrieb? Wie hoch war die Alphabetisierung zu den verschiedenen Zeiten? Was ist vom antiken Schulwesen bekannt? Da in einer Gesellschaft ohne Buchdruck jedes Buch die Abschrift eines anderen darstellt, ist es nur natürlich, dass sich Fehler in die Texte einschleichen. Der Autor beschreibt, wie sie entstehen und gibt eine Typologie der Fehler. In dem Abschnitt "Der Autor und die Veröffentlichung seines Werkes" schildert Mazal den Weg einzelner Werke von ihrer Abfassung durch die Antike und das Mittelalter hindurch bis in die Neuzeit und zugleich die Bemühungen antiker und mittelalterlicher Gelehrter um die Konstitution der Texte. Viele der gewählten Beispiele illustrieren das bekannte "habent sua fata libelli". Es folgen Kapitel über die Geschichte der griechischen Schrift und Sprache, der etruskischen und italischen Schriften und der lateinischen Schrift und Sprache und zwei Abschnitte über Buchmalerei und Bucheinbände. Auch für Unkundige dieser Sprachen stellt das Werk hier wie in den vorangehenden Teilen durch seine mit Geschick ausgewählten Schwarz-weiß- und Farbabbildungen (insgesamt 40 Tafeln!) einen ästhetischen Genuss dar.

Eine Auswahlbibliographie und ein Register schließen sich an. Die Auswahl der angeführten Sekundärliteratur ist notgedrungen subjektiv. Wichtige neuere Werke wie "Bild und Wort. Das illustrierte Fachbuch in der antiken Naturwissenschaft, Medizin und Technik" (1994) von Alfred Stückelberger oder "Writing, teachers, and students in Greco-Roman Egypt" (1996) von Raffaella Cribiore sollten trotzdem nicht fehlen.

Fazit: Jeder, der Interesse am Buchwesen und der Buchkultur der Antike hat, wird hocherfreut über diesen Band sein.

Titelbild

Geschichte der Buchkultur. Band 1: Otto Mazal: Griechisch-römische Antike.
Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1999.
415 Seiten, 55,70 EUR.
ISBN-10: 3201017167

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch