Hautflügelkämpfer und dicke Putten

Kathrin Schmidts neuer Gedichteband

Von Sarah FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sarah Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Wörtermeer der Kathrin Schmidt mag der ungeübte Taucher wohl erst einmal, nach Luft schnappend, ausgedehnte Touren vermeiden. Denn hier gilt es gewappnet auf die Reise zu gehen. Der Duden, das Fremdwörterbuch, die Geduld und der Wille zur intensiven Auseinandersetzung sind dabei unabdingbar. Was zunächst recht übersichtlich erscheint, 62 Gedichte, kaum eines länger als 20 Zeilen, eingeteilt in fünf Kapitel, ist tatsächlich ein verknotetes, vertäutes und verstricktes Netz von Anspielungen, Wortschöpfungen und Themenvielfalt.

Mehr als ihre Themen ist es vielmehr der Umgang mit der Sprache, der jedem Gedicht den Stempel der Autorin aufdrückt und einen Eindruck von Einheitlichkeit vermittelt.

Bei dieser Sprache werden keine stehenden Ausdrücke oder Redewendungen zugelassen. Sie bilden vielmehr die Basis, das Grundwissen, mit deren Hilfe der Code entschlüsselt werden kann. Ein Grundwissen, das fast unerschöpflich scheint. Es reicht von mythischem Märchenwissen ("dass ich zu ahnen beginne, wer hier der boss mit den drei goldenen haaren sein könnte, wer hier die großmutter zum teufel macht"), bis zu biologischen und klinischen Fachbegriffen, griechischer Mythologie und sogar Spezialausdrücke für kosmetische Schönheitsmittel werden zitiert. Was einmal Allgemeingut Sprache war, wird durch das Auge der Kathrin Schmidt fokussiert, zerlegt und mit Hilfe ihrer Sprache wieder zu einer neuen, anderen Wirklichkeit zusammengefügt. Die Protagonisten dieser Wirklichkeit sind "kindersoldaten", "postentiere" und "hautflügelkämpfer", "dicke putten", "wasserkrieger", "gefallende engel" und sehr häufig ein lyrisches Ich, das zu dem Eindruck einer subjektiven Wahrnehmung beiträgt.

Gerade durch das häufige Auftreten des lyrischen Ich entsteht der Eindruck, dass die Themen der Gedichte sich weniger auf eine äußere, umgebende Welt beziehen als vielmehr einem labyrinthischen Innenleben den Spiegel vorhalten. "Mitotisch" beschreibt z.B. die Zweiteilung des Ich, das zum "paar" wird. "bis in die faltenkammern des alters werde ich mich verfolgen, ein teil das andere, immer der nase nach....bis ich ein einsames paar treffe, wie ich es bin." Die Themenvielfalt der Gedichte geht aber über die Reflexion des Innenlebens weit hinaus. "idiom, das meinen mund schaukelt" beschäftigt sich beispielsweise mit dem Verlust des Dialektes in einer autoritär geprägten Schulatmosphäre. Die Mädchen werden zu "mundartmündeln", das Idiom zum "kunstgriff".

In "der tag verharrt" erwächst aus der Auseinandersetzung mit politischen Instanzen der Fluchtwunsch. In diesem und anderen Gedichten scheint sich eine Auseinandersetzung der in Gotha aufgewachsenen Autorin mit den politischen Gegebenheiten ihrer Kindheit und Jugend abzubilden.

Oftmals findet sich die Themenvielfalt auch unter dem Deckmantel gleicher Begriffe. In ihrem Umgang mit Sprache entwickelt die Autorin Vorlieben für bestimmte Ausdrücke, wie z.B. für das Wort "Kind". Das erste Kapitel "Kleine Claqueursherzen", was so viel bedeutet wie "die Herzen kleiner bezahlter Beifallklatscher", beschäftigt sich ausschließlich mit dem Begriff "Kinder" in den unterschiedlichsten Kontexten. Manchmal sind sie fantastische Figürchen, wie etwa im "militärmuseum", in dem "kindersoldaten" in der "tasche fiepten und fiepten" und dort zur Metapher mahnender Erinnerungen werden. In anderen Gedichten werden Kinder zur Metapher von Kindheit an sich oder zur Metapher von in einer Gesellschaft unterdrückten Menschen. Kathrin Schmidt bildet den Zusammenhang des ersten Kapitels also durch die wiederholte Verwendung des Wortes "Kind", dessen inhaltlich-metaphorisch unendliche Verwendungsmöglichkeit sie sodann unter Beweis stellt.

Außer sprachlichem Zusammenhalt gibt es bei Kathrin Schmidt aber auch zentrale Themen, wie etwa Geschlechterrollen und Erfahrungen.

Schon im ersten Kapitel fällt auf, dass die "Kinder" der Autorin nur selten ungeschlechtlich bleiben. Die Wahrnehmung der Autorin ist auf das Genderthema besonders geeicht. Diese Differenzierung kann scheinbar völlig gleichgültig geschehen, wie etwa wenn Kathrin Schmidt von "zu sieben schwestern verschlüpften vögeln" spricht, in Anlehnung an das Märchen der sieben Brüder, die zu Vögeln verwandelt wurden. In anderen Gedichten wird die bewusste Geschlechterdifferenzierung aber auch zum Thema. In dem titelgebenden Gedicht "Go in der Belladonnen" geht es beispielsweise um den traditionellen Geschlechterkampf, der sich in Zeiten der weiblichen Emanzipation zwar verändert, jedoch nicht verschwindet. Da geht es um "weibsmauser" und den "ausstieg aus frauenkleidern" oder eben um die "belladonnen, am hammerklavier, in kneipe und supermarkt", "mit handlangerstatus. der fettnapf mit amber gefüllt, auf daß auch noch die letzte männliche lust ihren ofen verläßt."

Formal ist Kathrin Schmidt ebenso exakt und variantenreich wie inhaltlich. Genauso wie kein Wort zuviel oder unbewusst gesetzt wird, so finden wir in ihren Gedichten auch kein Komma, das ohne Bedacht gesetzt, oder unterlassen wurde. Einer Metapher wird beipielsweise durch ein vom Satzbau her unnötiges Satzzeichen, die (Atem-)pause verschafft, die ihre besondere Stellung im Kontext des Gedichtes verdeutlicht. In "dich in schonhaltung" heißt es beispielsweise "das milchmesser im kopf, macht leerlaufgeräusche zwischen fuß- und schuhsohle." Die Kommasetzung verschafft der Metapher den ihr eigenen dramatisch-grotesken Moment, über den ansonsten allzu leicht hinweggelesen würde.

Ein weiteres formales Merkmal der Gedichte ist die konsequente Kleinschreibung.

Endlich ein Indiz - so hoffe ich, die Kritikerin -, mit dem die Autorin nun doch einer Marotte ohne Bedeutung überführt werden kann. Genauso wie ich vielleicht die zig nicht verstandenen Metaphern, Anspielungen und Fremdwörter nur allzu gerne unter dem Label 'Marotte' präsentiert hätte. Doch bei jeder Stichprobe hat sich ein hochkomplexes, bis ins Detail ausgeklügeltes Netz aufgetan, das es im gleichen Moment vermag, Klang, Rhythmus, Bedeutung und Form zu einem wahren Equilibrio verschmelzen zu lassen, in das sich eben auch die konsequente Kleinschreibung leise und beharrlich einfügt.

Den großartigen Gedichten dieses Bandes hält nun einmal keine oberflächliche Rezensentenkritik stand - außer vielleicht die Frage nach der Existenz einer Leserschaft, die Spaß daran findet.

Titelbild

Kathrin Schmidt: GO-IN der BELLADONNEN. Gedichte.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000.
96 Seiten, 16,40 EUR.
ISBN-10: 3462029339

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