Der Kulturverleger - die zweite Generation

Über Klaus Pipers Verlegerbiographie

Von Ute SchneiderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ute Schneider

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1904 gründete Reinhard Piper in München einen Verlag, der neben den Verlagen von Samuel Fischer, Eugen Diederichs, Albert Langen, Georg Müller, später Ernst Rowohlt und Kurt Wolff im Konsens der buchhistorischen Forschung zu den sogenannten Kulturverlagen gezählt wird. Den Kulturverlegern gemeinsam waren einerseits die besondere Profilierung ihrer Programme durch die Präsentation einer spezifischen, zeitgenössischen literarischen, künstlerischen oder weltanschaulichen Richtung und andererseits die Pflege einer intensiven Autorenbindung mit dem Ziel, nicht einzelne Bücher, sondern Autoren und ihr Gesamtœuvre zu verlegen. Das Verlagsprogramm war in der Regel eng an die Wertvorstellungen der Verlegerpersönlichkeit geknüpft.

Autobiographische Zeugnisse von Verlegern dienen durch ihre subjektive Perspektive als Quelle, als Schlüssel zum Selbstbild des Verlegers, eröffnen möglicherweise den Blick auf Autor-Verleger-Beziehungen, lassen Programmentscheidungen verständlich werden, die aus der reinen Verlagschronik nur schwierig abzulesen sind. Die subjektive Färbung von Lebenserinnerungen steht dem nicht entgegen, denn Berufsauffassung und Selbstverständnis werden in Persönlichkeitsdokumenten oft idealisierend zugespitzt, treten dadurch umso deutlicher zutage. Die Verifizierung oder Falsifizierung durch weitere Dokumente zur Verlagsgeschichte bildet erst den zweiten Schritt der historischen Analyse. Zu fragen ist also primär nach dem Quellenwert einer Verlegerbiographie, wenn man die grundsätzliche Unterhaltungsfunktion von Autobiographien unberücksichtigt lässt.

1911 wurde Pipers Sohn Klaus geboren, der bereits in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg in den väterlichen Verlag eintrat, und dann 1953 bis 1983 als persönlich haftender Gesellschafter den Verlag leitete. Klaus Piper starb am 25. März 2000, zwei Tage vor seinem 89. Geburtstag, und hinterlässt wie der Vater Reinhard Piper in seinen Lebenserinnerungen "Vormittag" und "Nachmittag" dem interessierten Leser seine Autobiographie, die kurz vor seinem Tod vollendet wurde und deren Erscheinen der Verleger nicht mehr erlebte.

Klaus Piper berichtet im ersten Teil seiner Autobiographie über seine Kindheit, seine Schulzeit, seine Lehrjahre in Buchhandel und Verlag, wobei hier keineswegs der Chronologie der Ereignisse zwingend gefolgt wird, sondern Kindheits- und Jugenderinnerungen mit späteren Erlebnissen verknüpft werden. Aufgewachsen in einem liberalen Elternhaus, konfessionslos, aber im konservativ-katholisch, humanistisch geprägten bayerischen Gymnasium die Schulbildung genossen, absolviert der junge musikinteressierte Verlegersohn eine Buchhändlerlehre als Vorbereitung auf seinen künftigen Verlegerberuf. Die Sozialisation des jungen Piper verläuft in weitgehend bürgerlichen Bahnen, in denen dem Beruf des Vaters entsprechend Kunst, Literatur und vor allem Musik den Rahmen für Bildung und Erfahrung darstellen.

Im zweiten Teil der Autobiographie stehen die Begegnungen des Verlegers mit Autoren im Vordergrund wie auch die Planung und Durchführung des Programmaufbaus. Breiten Raum nehmen Schilderungen der Autor-Verleger-Kontakte ein. Klaus Piper oblag die Aufgabe, den durch die Persönlichkeit des Vaters geprägten Verlag weiterzuführen, Traditionen im Verlagsprogramm zu bewahren und gleichzeitig Neuerungen anzustreben. Das von seinem Vater vertretene Programm von Werken der Kunst, Literatur und Philosophie erweitert der Sohn ab 1954 in erster Linie um populärwissenschaftliche Werke aus den Bereichen Politik, Soziologie, Naturwissenschaften und Zeitgeschichte.

Im Piper Verlag der folgenden Jahrzehnte versammeln sich die Werke renommierter Wissenschaftler und Autoren. Mit Stolz berichtet der Verleger ausführlich von der Gewinnung des von ihm hochverehrten Philosophen Karl Jaspers als Autor, dessen Schriften fortan bei Piper erscheinen. Auch die Werke Robert Havemanns, Alexander Mitscherlichs und Hans Küngs im Verlagsprogramm stehen für die persönlichen Interessen des Verlegers, dem "informierende und aufklärende Beiträge zur deutschen Politik und zur Zeitgeschichte stets besonders wichtig" waren. Die Antworten auf die Fragen nach den Wertvorstellungen des Verlegers, nach seinem Selbstverständnis, seinen handlungsleitenden Interessen gibt Klaus Piper am Ende seiner Lebenserinnerungen: "Intellektueller sein, sich für unerprobtes Geistiges engagieren, an das Kalkül erst in zweiter Linie denken - und doch die Bilanzen müssen stimmen". Rein literarische Werke scheinen im Verlegerinteresse mit Ausnahme der Dichtungen Ingeborg Bachmanns und der Romane Stefan Andres' eher zurückzustehen.

Merkwürdig blass, distanziert und für den Leser nur in Schemen wahrnehmbar bleibt trotz der von Piper geschilderten Kontakte die Beziehung zwischen Verleger und Autoren. Die stetige Versicherung und dezidierte Betonung von Freundschaften zwischen Autor und Verleger, die gelegentlich geradezu zum Topos in Verlegerbiographien avancieren, fehlen hier völlig. Klaus Piper sah seine Aufgabe als Verleger, vor allem im Bereich der Non-Fiction-Literatur, in der anregenden Funktion, "konkret ein Thema auf den Tisch [zu] bringen, zu dem der Autor sagt: ja, das ist etwas für mich." Auch Piper spricht von den immer wieder gerne angeführten Hebammendiensten des Verlegers, der als Ideenlieferant für seine Autoren fungieren soll. In seinen Lebenserinnerungen erscheint Piper jedoch mehr als Entdecker, als aufmerksamer Beobachter des zeitgeschichtlichen und kulturhistorischen Geschehens, weniger als drängender Anreger.

Ein klares Bild von der Verlegerpersönlichkeit erschließt sich für den Leser nur zwischen den Zeilen. Lediglich im letzten Kapitel "Bilanz und Ausblick" erfährt der Leser mehr über die Ziele und Überzeugungen des Kulturverlegers in der zweiten Generation, wenn er als wichtigste Aufgabe des Verlegers anführt, "die Zeitgenossen am Erkenntnisprozeß zu beteiligen und ihnen fruchtbare, weiterführende Alternativen des Vorstellens und Denkens zu bieten." Piper hängt mit diesem Selbstverständnis dem traditionellen Modell der charismatischen Verlegerpersönlichkeit an, einem Modell, das im krassen Widerspruch zur Realität auf dem deutschen Buchmarkt der letzten Jahrzehnte steht. Aber gerade dieser Aspekt macht den besonderen Reiz dieser autobiographischen Quelle für die verlagshistorische Forschung aus.

Titelbild

Klaus Piper: Lesen heißt doppelt leben.
Piper Verlag, München/Zürich 2000.
272 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3492043127

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