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Über den Briefwechsel von Uwe Johnson und Max Frisch und seine verborgene Dramaturgie

Von Helmut BöttigerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Böttiger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Daß diese beiden nicht zusammenpassen konnten, ist von vornherein klar. Max Frisch, ein Starautor, der früh mit suggestiven Theaterstücken genau den Nerv der Zeit traf, ein Schweizer, der auf allen Klaviaturen helvetischer Enge und Weltbürgerschaft spielte - und daneben Uwe Johnson: ein verquerer, verschlossener Mecklenburger mit hohen Maßstäben der Moral, dessen vertrackte Prosa schon immer schwierig zu rezipieren war. So gegensätzlich die Personen, so gegensätzlich ihr Werk; zudem war Max Frisch, 1911 geboren, eine ganze Generation älter als der 1934 geborene Uwe Johnson. Daß es zwischen diesen beiden einen Briefwechsel gibt, der es auf immerhin 240 Druckseiten bringt, wirkt erstaunlich - auch wenn in diesen 240 Seiten bereits etliche Anmerkungen des skrupulös nachforschenden und detailversessenen Herausgebers Eberhard Fahlke enthalten sind.

Noch erstaunlicher wirkt es nach den ersten Briefen, daß der Briefwechsel überhaupt weiterging. Denn der Anfang entspricht allen Erwartungen. Max Frisch schreibt am 14. Oktober 1964: "Die Begegnung mit Ihnen in Berlin, die Art, wie Sie sich verhalten haben, hat mich betroffen, beschäftigt, da ich sie nicht verstehe. Sie zu einer Erklärung herauszufordern, habe ich wohl kein Recht, aber zu sagen: wie Sie mich begrüßt, wie Sie meine Begrüßung beantwortet oder nicht beantwortet haben, wie Ihr Gesicht rot wurde, als ich Sie anredete, vor allem wie Sie sich (lang darauf) verabschiedet haben, ist mir unbegreiflich."

Johnson wollte sich darauf nicht lumpen lassen, und sein ursprünglicher Entwurf für eine Antwort sieht so aus: "Für Ihren Brief vom 14. kann ich mich nicht bedanken, und Ihre Meinung ist mir nicht faßlich. Zu Ihrem Empfang kam ich in die Stadt, um Sie zu begrüßen. Ich kann nicht ändern, daß ich in small talk ungelenk bin, und Sie waren es auch, anderes Gespräch war da nicht möglich. [...] ich bin sicher, mich anständig von Ihnen verabschiedet zu haben, und es bedurfte doch einiger Höflichkeit, Ihre erstaunliche Bemerkung zum Schluß schweigend anzuhören. Sie werden sich erinnern, daß ich sie aufbrachte."

In der abgeschickten Brieffassung milderte Johnson den Ton dadurch, daß er den Hinweis auf Frischs "erstaunliche Bemerkung zum Schluß" wegließ. Dennoch ist der Unterschied der beiden Temperamente und Sprachen deutlich. Frisch war damals 53 Jahre alt und auf der Höhe seines Ruhms, Johnson genau 30 und ein zwar aufsteigender, aber nur in engeren literarischen Kreisen hochgeschätzter Autor. "Small talk", wie er es selbst nennt, das unverbindliche Plaudern bei Empfängen und Parties, war Johnsons Sache nicht. Frisch hingegen bewegte sich darin wie ein Fisch im Wasser. Mißverständnisse, Fehldeutungen lagen da in der Luft. Der im Unterschied zu Frisch komplizierte Satzbau, die rhetorischen Figuren, die Künstlichkeit, die bis ins Gestelzte hinein reichen kann: dies alles weist darauf hin, daß Johnson auch im privaten Rahmen Empfindlichkeiten nicht überspielen konnte, daß er für den landläufigen Umgangston nicht gut zu gebrauchen war. Es muß etwas vorgefallen sein, was ihn kränkte. Frisch brauchte das gar nicht bewußt gewesen zu sein.

1962 hatte Uwe Johnson ein neunmonatiges Stipendium an der Villa Massimo in Rom, wo Frisch zusammen mit Ingeborg Bachmann wohnte. Am 9. März ist die erste Begegnung nachweisbar, im Laufe des Jahres 1962 folgten in Rom noch mehrere. Das unglückliche Zusammentreffen in Berlin, das den Briefwechsel zwischen Frisch und Johnson eröffnet, fällt in die Zeit nach der Trennung zwischen Frisch und Ingeborg Bachmann. Daß die atmosphärischen Störungen etwas damit zu tun haben könnten, ist nicht ausgeschlossen; Ingeborg Bachmann lebte nach der Trennung von Frisch einige Zeit in Berlin und gehörte zu der inzwischen legendär gewordenen Dichtergruppe in Friedenau, wo auch Johnson wohnte.

Doch hier sind wir schon im Bereich der Spekulation, und das ist ein Charakteristikum dieses Briefwechsels. Er spielt in einer noch sehr nahen Vergangenheit, die uns hier, in kristallisierter Form, schon als Geschichte entgegentritt. Es leben noch viele der genannten Personen. Ein beachtlicher Teil der jüngeren Literaturgeschichte wird hier erfaßt: die Entstehungsgeschichten von Frischs Tagebuch 1966-71, "Montauk" und "Triptychon" sowie von Johnsons Skizze eines Verunglückten und Jahrestage blitzen auf, und vor allem der Suhrkamp-Verlag samt dem schier allgegenwärtig scheinenden Verleger Siegfried Unseld.

Natürlich besteht dieser Briefwechsel auch aus Alltagsgeschichten, aus Belanglosem. Aber das, was man von zwei herausragenden Autoren erwartet, wird in diesen Briefen ebenfalls eingelöst. Es entwickelt sich eine sehr persönliche Dramaturgie. Der Suhrkamp-Verlag ist die größte Gemeinsamkeit, die Frisch und Johnson haben; in seinem Zeichen finden sie in diesem Briefwechsel wieder zueinander. Ein augenzwinkerndes Bündnis gegen den beständig fordernden Geldgeber Siegfried Unseld fördert das Zusammengehörigkeitsgefühl, und es ist nicht ohne Pikanterie, einige Passagen dieses Briefwechsels gerade in einem Buch des Suhrkamp-Verlags zu lesen. Beispielsweise wird das Projekt eines Suhrkamp-Verlags in Zürich thematisiert, das nicht zuletzt wegen politischer Differenzen zwischen Unseld und Frisch scheiterte. Johnson schreibt über ein Gespräch mit Unseld an Frisch: "Sein Verhalten bei seinem neuesten Besuch in Zürich stellt er dar als ganz 'un-unseldisch, fast schon wie Peter Suhrkamp', worunter er versteht, daß er bei dieser Gelegenheit einmal die anderen habe reden lassen und erst dann seine Entscheidung getroffen habe. Diese bestand, wenn ich ihn richtig verstanden habe, in der Alternative, den Suhrkamp Verlag Zürich aufzulösen. Aus dem Gespräch bei Ihnen berichtet er als Äußerung Mariannes [die Frau Max Frischs], sie verstehe ihn nun. Auf meine Frage, ob sie dabei Verständnis für seine Lage oder aber eine Billigung seines Verhaltens im Sinn gehabt habe, gab er die eher unseldische Antwort, auf solche Unterscheidungen könne auch nur ich kommen. Wie wäre es mit 'seldisch' als Adjektiv?"

Dieser Gesprächston hatte sich Mitte der siebziger Jahre eingestellt. Ab dem Jahr 1970 wird der Briefwechsel intensiver: Johnson bietet Frisch an, das Manuskript des Tagebuchs 1966-1971 zu lesen. Er bearbeitet Frischs Text wie ein Lektor, geht auch auf kleinste Unstimmigkeiten ein, wo er sie zu erkennen meint, behandelt minuziös Passage um Passage. Es ist Respekt, ja Bewunderung des Jüngeren für den Älteren zu erkennen. Frisch schätzt Johnson als gewissenhaften Korrektor und Gesprächspartner und er tritt öfter als Mäzen Johnsons in Erscheinung: den Kaufpreis für das Haus in Sheerness-on-Sea, 120 000 Mark, leiht er ihm beispielsweise zinslos, und man geht wohl nicht falsch in der Annahme, daß dies eine andere Formulierung für eine Schenkung ist.

Als Anhang zum Briefwechsel sind die gesamten Lektoratsmaßnahmen Johnsons an Frischs Tagebuch mit abgedruckt, und das nimmt ungefähr die Hälfte des ganzen Buches ein. Für Spezialisten ist dies durchaus interessant: Johnsons Akribie stößt immer wieder auch auf unterschiedliche literarische Vorstellungen, er möchte vieles streichen, was Frisch atmosphärisch zu brauchen meint. Für die Beziehung zwischen den beiden sind aber die Gespräche und Aufzeichnungen über Frischs nächstes Buch "Montauk" weitaus wichtiger. Hier entsteht eine ungeahnte Wechselwirkung zwischen Literatur und Leben.

Johnsons Ehe mit Elisabeth war für ihn unhinterfragbar, das entspricht seinen Maßstäben der Moral (die er auch in der Politik anlegte): sein Fluchtraum für das Private, Intime. Johnson gibt in diesen Briefen seine Zurückhaltung, was Privates anbelangt, fast nie auf. Umso bemerkenswerter ist es, wie er auf Frischs "Montauk" reagiert, wo dieser, eng ans Autobiographische gekoppelt, Ehe- und Treuebrüche beschreibt und, zweifelnd und suchend, eine Identität als "Mann" umkreist, was Johnson äußerst fern war. "Dies ist ein aufrichtiges Buch, Leser" - dieses Zitat von Montaigne, das Frisch als Motto wählte, ist Dreh- und Angelpunkt der Überlegungen beider.

Johnsons Diskretion und Einfühlsamkeit zeigt sich, als Frisch in der Endphase von "Montauk" steht und private Schwierigkeiten mit der literarischen Selbstvergewisserung parallel laufen. Johnson übernimmt es, eine Art Expertise über "Montauk" an die Frau Frischs, Marianne, zu verfassen. Es ist eine philologische Feinarbeit, die Johnsons eigenem privaten Sicherheitsnetz extrem zuwiderzulaufen scheint: Johnson ergreift Partei für den Text und für Frisch gegen Marianne: "Von dir kann ich mir als Argument vorstellen: Es sei eines, einen Ehebruch über längere Zeit auszuleben, wohl einen Freundeskreis teilnehmen zu lassen, dies hingegen bei dem getäuschten Partner zu unterlassen, oder zu unterbinden; es sei anderes, Beschreibung davon und Kommentar dazu im Druck zu dulden. Das besagte, du zögest den Anspruch auf Deine Realität zurück, zu Gunsten schicklicher Schonung. Die müßtest Du dann auch für den Verfasser in Anspruch nehmen, von ihm nämlich, und ihm eben jene Beschreibung des eigenen Ehebruchs untersagen, mit der er dich durchgehend von Vorwurf entlastet."

Im selben Jahr, 1975, ereignet sich allerdings der grundlegende Bruch in Johnsons Leben. Daß er Anhaltspunkte dafür sah, daß seine Frau Elisabeth viele Jahre früher ein Verhältnis mit einem tschechischen Agenten der Staatssicherheit gehabt habe, wissen wir von ihm selbst aus seinen Frankfurter Vorlesungen 1980. Eine heftige Herzattacke Johnsons im Sommer 1975, die in diesen Zeitraum fällt, markiert gleichzeitig auch einen Wendepunkt im Briefwechsel mit Frisch. Während dieser drei Jahre lebt Johnson nach dem Eklat mit Elisabeth noch unter einem Dach, doch von dem Zerwürfnis erfährt Frisch im Briefwechsel erst durch den lapidaren Satz Johnsons, Elisabeth sei mit "ihrer Tochter" an eine "unbekannte Adresse" gezogen. Diese drei Jahre lang schreibt Johnson von peripheren Alltagsgeschichten und Kneipenbesuchen in Sheerness, wie um sich langsam an eine neue Realität heranzutasten. Johnson bemüht sich, sich nichts anmerken zu lassen. Doch am 1. Juni 1976 schreibt ihm Frisch: "Beim letzten Besuch in Sheerness hatte ich für Augenblicke den bestürzenden Eindruck, Sie geben etwas auf, Sie trauen sich etwas nicht mehr zu; Sie richten sich gegen sich selbst. Vielleicht wagt es Ihnen niemand zu sagen: Das dürfen Sie nicht, Uwe, wir lieben Sie."

Die letzten Jahre, Johnson starb 1984, sind auch in diesem Briefwechsel schütter. Johnsons Einsamkeit wird oft überdeutlich. Die Abstände zwischen den Briefen werden immer länger, und die Lebensumstände der beiden, die sich eine Zeitlang auf merkwürdige Weise berührten, könnten verschiedener nicht sein. In den intensivsten Zeiten ihrer Bekanntschaft wurde aus dem Arbeitsverhältnis eines, das Persönliches miteinschloß. Da in Frischs Werk das Persönliche, die eigenen biographischen Erfahrungen immer Thema sind, entstand durch die Genauigkeit der literarischen Zusammenarbeit auch eine persönliche Nähe. Daß "Montauk" und Johnsons Pendant, die "Skizze eines Verunglückten", in dem jeweiligen subjektiven Kern extrem entgegengesetzt sind, die beiden Texte aber in merkwürdiger Verschränkung entstanden, ist eine der verblüffenden Erkenntnisse dieses Briefwechsels.

Doch am Ende ist das Unvereinbare der beiden Briefeschreiber auf ganz andere Weise als am Anfang wieder eingeholt. Johnson lebt die letzten Jahre isoliert in Sheerness-on-Sea, seiner persönlichen Bindungen beraubt, Frisch lebt mit der jungen Protagonistin aus "Montauk" eine Zeitlang in New York zusammen. Es wirkt bitter nach, wenn er unvermittelt an Johnson den Satz schreibt: "Wie können Sie alleine leben?"

Nein, auch Johnson konnte das nicht. Im letzten Brief an Frisch vom Oktober 1983 blickt Johnson auf einen New York-Aufenthalt zurück: "Später, auf dem Rand des immer von neuem fremden Bettes balancierend, kann man verfallen auf wunderliche Gedanken und im Telefonbuch von Manhattan nachprüfen, ob ein der Ruhe beflissener Freund daraus sich hat fern halten können. Siehe da, Max Frisch ist aufgeführt. Mit Adresse. Eingedenk des handschriftlichen Zusatzes auf Ihrer Karte vom Mai unterliess ich einen Anruf bei der Partei, die Ihren Apparat bedient. Auch an der Tür der angegebenen Adresse, neben dem neu belebten Antiquitäten Geschäft ("Backmin Black") steht zu lesen: FRISCH. Eingedenk... habe ich des Klingelns mich enthalten."

Titelbild

Eberhard Fahlke (Hg.): Der Briefwechsel Max Frisch - Uwe Johnson.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
350 Seiten, 28,60 EUR.
ISBN-10: 3518409603

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