Die Endlichkeit des Lebens
"Letzte Gedichte" von Ernst Jandl
Von Hille Kück
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"der buchstabe ist tot
auch der buchstabe ist tot
das buch ist tot
auch das buch ist tot
alle bücher sind tot
alle buchstaben sind tot
das wort ist tot
auch das wort ist tot."
Und das Wort ist bei Gott, heißt es, und auch von dem geht die Kunde, dass er tot sei. Nur einer lebt gewiss in uns weiter, Ernst Jandl mit seiner Dichtung, und mag er auch, vor kurzem erst, gestorben sein. Ihn quälte im Alter die Melancholie, die Krankheit des Genies, der er nach und nach eine stattliche Sammlung Gedichte abtrotzte, Vorstufen vielleicht, Versuche wohl, die jedem anderen einen furiosen Einstand in die Welt der Dichtung beschert hätten.
Jandl war skeptisch, blieb skeptisch, legte sich zwei Mappenwerke an, nur durch Plus- und Minuszeichen voneinander unterschieden. Diese Zeichen sind interpretierbar und interpretationsbedürftig: Vielleicht steht das 'Plus' für das vollendete Gedicht, vielleicht steht das 'Minus' für das Unverzichtbare. Jedenfalls ergab sich Jandl dem "schicksal" der "kreatürlichen existenz" und begann immer wieder aufs Neue, seine Versuche über den "mißglückten tag" hinaus zu bearbeiten und sie an der Tradition zu messen:
"wozu besitze ich
noch eine stimme
noch finger die
ein wort hinschreiben können
ich habe keinen ruf
ich schreibe keinen brief
die vöglein im walde erklingen"
Nicht anders können als schreiben: "ein gedicht, ein einziges, kurzes gedicht / müßte doch / drin sein / an diesem tag", und noch eines morgen und eines übermorgen. Auch so entstehen aus "stummheit" große Sammlungen ohne "geschwätzigkeit". Die letzte Veröffentlichung vor Ernst Jandls Tod war "peter und die kuh" im Jahr 1996. In der Zeit danach wurde des Öfteren über einen neuen Gedichtband gesprochen, doch ließ Jandls Gesundheitszustand kein regelmäßiges Arbeiten zu. Kurz bevor sich Lektor und Autor treffen wollten, um Manuskripte zu sichten, starb Jandl und hinterließ auf dem Schreibtisch die beiden Mappen mit Plus- und Minus-Typoskripten. Der Autor hatte sich schon mit der Vorauswahl beschäftigt, und so konnte der Lektor den Band "Letzte Gedichte" mit einigen Manuskripten aus dem Nachlass bestücken. Noch weitere Unterlagen fanden sich, die Klaus Siblewski beherzt zu den "abgeschlossenen Werken" packte, vorwiegend Gedichte jüngeren Entstehungsdatums, zwischen 1990 und 1998 entstanden. Jandls "Letzte Gedichte" sind in der berühmten, jetzt wiederbelebten Sammlung Luchterhand erschienen.
Ein Querschnitt aus Jandls Stimmenvielfalt: Ein "kleiner rülpser" ist vertreten, ein "sekundenhörspiel", ein "computergedicht", ein Widmungsgedicht. Zu lesen ist die für Jandl so typische 'experimentelle' Lakonie, gekennzeichnet durch Wortwiederholungen ("sie sind nicht in grinzing / ich bin nicht in grinzing / sie ist nicht in grinzing / wir sind nicht in grinzing / hier ist nicht grinzing / hier ist liesing"), Reduktionen, Erweiterungen, Dehnungen und Reihungen, bewusst 'einfache' Verfremdungen, durch die "radikalität" innerhalb von Sprache spürbar wird. Auffällig ist die dargestellte Körperlichkeit, die Obszönität, auch Religiosität, mit der Jandls späte Lyrik arbeitet: "ein sich speiendes sei gott, / eine sich selber fressende blutfontäne, / ein im eigenen hirn steckengebliebenes / zeugungsglied".
Auffällig ist jedenfalls, dass in den letzen Jahren der Produktivität Jandls oft bittere Komik einem brüsken Ton gewichen ist. Klaus Siblewski schreibt in seinem Nachwort, Jandl sei sich bewusst gewesen, dass seine Zeit knapp werden würde, und jedes Gedicht scheint dieses Wissen zu bezeugen: "bin froh gewesen ich / frag ich zu mich / ja sag ich zu mich / froh bin gewesen ich / wann frag ich zu mich / bin froh gewesen ich / immer sag ich zu mich / bin froh gewesen ich / irgend wann dann muß ja schluß / mit froh". Viele Texte wie dieser sind kurz gehalten, enden elliptisch, als würde der Autor sich unter Zeitdruck setzen, uns zu sagen, was ihm zu sagen blieb.
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