Wie hätte Truffaut es gemacht?
Gespräche mit der Regielegende Billy Wilder
Von Torsten Gellner
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSchon in der äußerst unterhaltsamen Fernsehproduktion "Billy, how did you do it?" (1992) von Volker Schlöndorff und Hellmuth Karasek stellte die Hollywoodlegende Billy Wilder ihr anekdotisches Talent unter Beweis. In seiner unverwechselbaren deutsch-englischen Diktion mit dem dezenten österreichischen Einschlag plauderte Wilder lebhaft auf seinem Drehstuhl schaukelnd aus seinem langen und erfahrungsreichen Leben als Europäer in der Traumfabrik. Genau so muss man sich wohl den mittlerweile zwar etwas älteren, aber nicht weniger mitteilsamen Wilder vorstellen, als er von dem amerikanischen Regisseur Cameron Crowe ("Jerry Maguire") befragt wurde. Was anfangs als einmaliges Interview geplant war, entwickelte sich zu einer ganzen Reihe von Gesprächen, die beide über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr geführt haben. Das Ergebnis dieses Gesprächsmarathons ist der mit zahlreichen Fotos illustrierte Interviewband "Hat es Spaß gemacht, Mr. Wilder?".
Billy (Samuel) Wilder wurde 1906 in der damals zu Österreich gehörenden polnischen Kleinstadt Sucha geboren. In Wien arbeitete er als Reporter, siedelte dann 1926 ins Berlin der Weimarer Republik über, wo er weiter als Journalist tätig war und auch erste Erfahrungen beim Film sammelte: Zusammen mit den später ebenfalls nach Amerika emigrierten Regisseuren Robert und Kurt Siodmak sowie Fred Zinnemann wirkte Wilder an dem halbdokumentarischen Film "Menschen am Sonntag" (1929) mit und adaptierte als Drehbuchautor unter anderem Erich Kästners "Emil und die Detektive". Es war der Reichstagsbrand von 1933, der den Juden Wilder veranlasste, Deutschland zu verlassen und zunächst nach Paris zu gehen, wo er als Regisseur mit der heute fast vergessenen Krimikomödie "Unkraut" debütierte. Schließlich verließ Wilder Europa in Richtung Hollywood, traf dort auf die anderen Europäer, wie etwa Ernst Lubitsch, mit dem er schon recht bald erfolgreich zusammenarbeitete. An den oft zitierten 'Lubitsch-Touch' lässt sich Billy Wilder nach wie vor durch das berühmte kleine Schild in seinem Arbeitszimmer erinnern: "Wie hätte Lubitsch es gemacht?"
Sicherlich war ihm die Wiener und Berliner Zeit als Journalist ein reichhaltiger Erfahrungsschatz, aus dem er immer wieder schöpfen konnte, was sich in ambivalenter Weise in seinen beiden Zeitungs-Filmen "Reporter des Satans"(1951) und "Extrablatt" (1973) widerspiegelt. Populär geworden ist Wilder durch seine temporeichen und sprühenden Komödien wie "Manche mögen's heiß" (1959), "Das Appartement" (1960) oder "Eins, zwei, drei" (1961). Aber auch im dramatischen Genre des Film Noir bewegte er sich äußerst souverän, beispielhaft hierfür etwa der Klassiker "Sunset Boulevard - Boulevard der Dämmerung" von 1949. Billy Wilder ist, vielmehr war, der große Universalist des Hollywoodkinos, denn als aktiver Regisseur und Autor hat er sich schon lange zurückgezogen. Sein letzter Film, die turbulente schwarze Komödie "Buddy Buddy" mit dem brillanten Duo Walter Matthau/Jack Lemmon liegt nun genau zwanzig Jahre zurück und markiert auch das Ende der langjährigen Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Izzy Diamond, der kurz vor den Dreharbeiten zu "Buddy Buddy" gestorben ist. Fast wäre Wilder danach doch noch mal auf den Regiestuhl zurückgekehrt, nämlich als Martin Scorsese das Projekt "Schindlers Liste" abgelehnt hatte, das Wilder so gern realisieren wollte - doch Spielberg war schneller: "Ich wollte den Film machen. Wir haben darüber gesprochen. Er [Spielberg] ist Gentleman, und wir respektierten gegenseitig unser starkes Bedürfnis. Letztendlich konnte er das Projekt nicht aufgeben. Er musste es machen. Ich hätte es anders gemacht - aber nicht unbedingt besser. [...] Es ist ein ausgezeichneter Film geworden. Davor ziehe ich meinen Hut."
Wer so viel erfahren hat und so viele bekannte Gesichter der Film- und Showbranche er- und überlebt hat, der hat freilich viel zu erzählen. Wie man dieses unterhaltsame Wissen geschickt ans Tageslicht befördert, das hat François Truffaut in den 60ern vorgemacht. Sein Mammutinterview mit Alfred Hitchcock, "Mr. Hitchcock, wie haben sie das gemacht?", ist das vielleicht aufschlussreichste Buch über den Meister des Suspense. Auch Crowe hat sich an diesem Klassiker der Filmliteratur orientiert, aber offensichtlich hat er im Gegensatz zu Billy Wilder kein kleines Mahn-Schild in seinem Arbeitszimmer hängen, etwa mit der Aufschrift: "Wie hätte Truffaut es gemacht?" Denn es gibt einen großen Unterschied in der Art, wie sich beide an ihre filmschaffenden Vorbilder herantasten: Truffaut führt ein Interview, Crowe führt ein Gespräch.
"Conversations with Wilder" lautet der treffende Titel von Cameron Crowes Buch im Original und das erklärt, warum sich seine Arbeit doch stark von Truffauts Klassiker unterscheidet. Das Gespräch ist im Gegensatz zum Interview weniger zielgerichtet, offener, möglicherweise vertrauter. Wenn man sich über den Zeitraum eines Jahres regelmäßig trifft, dann gewinnt man gegenseitiges Vertrauen, findet sich plötzlich als Teil einer ausgesuchten Geburtstagsgesellschaft wieder, gehört irgendwie dazu und kann unter Umständen mehr von seinem Gegenüber erfahren, als in einer zeitlich klar definierten Interviewsituation. Man wird so vertraut miteinander, dass man sich über J.D. Salinger und Ernst Lubitsch noch unterhalten kann, während der Gesprächspartner krankengymnastische Übungen durchführt. Da heißt es vorsichtig sein, sonst gerät ein engagiertes Unternehmen schnell zur Hollywood-Home-Story. Die naturgemäße Offenheit des Gesprächs spiegelt sich auch in dem völligen Fehlen einer Chronologie wieder. Das kann böse enden für einen orientierungssuchenden Leser, der womöglich eine lückenlose Biographie in Selbstzeugnissen erwartet. Doch das bisweilen etwas distanz- und planlos erscheinende Vorgehen Crowes erweist sich in Wilders Fall doch als die richtige Strategie: Wenn Billy Wilder in Erzähllaune ist und sich selbst zum Stichwortgeber gerät, dann kann man sich zurücklehnen und wahrhaft unterhalten lassen. Und der Blick auf die Unmenge an teilweise unveröffentlichten Fotos entschädigt sowieso für manche vermeidbare Entgleisung in die Klatsch-und-Tratsch-Region.