Der Dramatiker zwischen den Fronten

Jan-Christoph Hauschilds vielschichtige Biographie über Heiner Müller

Von Oliver van EssenbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver van Essenberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Klein, gebückt, den Kopf zwischen den kantigen Schultern eingezogen, mit Augen, die hinter der schweren Brille fast verschwinden. Den Dramatiker Heiner Müller beschreiben Weggefährten als weich, ein wenig weiblich in seinem äußeren Erscheinungsbild. Wer seine Stücke und Gedichte las, war überrascht. Soviel Heimtücke, soviel technokratischer Zynismus in schönen, metaphernreichen Wendungen.

Als Autor war er ein Katastrophenliebhaber sondergleichen, als Intellektueller im Medienbetrieb ein scharfsinniger, provokanter Kommentator, um eine schlagfertige Pointe nie verlegen. Heiner Müller gehört nicht nur zu den exzentrischsten, sondern auch zu den meistgespielten Theaterautoren der Gegenwart. Jan-Christoph Hauschild hat eine Bresche durch das biographische Dickicht geschlagen. Mit akribischer Gründlichkeit lässt er neben dem Autor vor allem Zeitdokumente aus Müllers privatem und öffentlichem Umfeld zu Wort kommen, sondert die skeptisch stimmenden Befunde aus den üblen Nachreden aus, mit denen der Autor zeitlebens konfrontiert wurde, und rundet das Ganze zu einer kompakten Lebensgeschichte ab.

Auf der Suche nach einem Schlüsselerlebnis in der Biographie stößt der Leser auf den frühen Bruch mit dem Vater. Von den Nazis geschlagen und verhaftet, verleugnete der Vater seine kommunistische Gesinnung. In einem Schulaufsatz, den er seinem Sohn diktierte, bekannte er sich zu Hitler, um so sich selber zu einer Arbeit und der bitterarmen Familie zu einem Einkommen zu verhelfen. Nach dem Krieg machte er dann als Bürgermeister für die SED im sächsischen Frankenberg Karriere.

Der Vater begeht kleine Lügen, die Ideologie die großen Verbrechen. Aus ihnen schlägt Müller ästhetisch Kapital. Hauschild tut gut daran, die Deutung der Werke nicht auf die Biographie zu verkürzen, auch wenn sich so manches Desaster in Müllers Stücken zu wiederholen scheint. Familiäre Geborgenheit war Müller als Autor und Privatperson fremd. In fünf Ehen, die mit zahlreichen Affären einhergingen, fand er weder zu den Frauen noch zu seinen drei Kindern ein vertrautes Verhältnis.

Die Auseinandersetzung mit der deutschen Misere war ihm wichtiger. Angefangen von den journalistischen Gelegenheitsarbeiten über die frühen Produktionsstücke bis hin zu seinen Revolutionsstücken beschreibt Hauschild Müllers Leben für die Literatur, mit einigen kafkaesken Einschlägen. Die Aufregung der DDR-Parteifunktionäre um das Stück "Die Umsiedlerin" aus dem Jahr 1961 weckt Müllers Lust am Affront.

An skandalträchtigen Konflikten hat Müller seitdem einen Narren gefressen. Hauschild wartet mit überzeugenden Interpretationshilfen auf. Vor allem macht er nicht die politische Wadenbeißerei mit, für die Müllers Werk Jahrzehnte lang im Osten und im Westen herhalten sollte. Statt des Zeigefingers führt der Literaturwissenschaftler den schwarzen Humor des Autors mit seinem Interesse an zwielichtigen Figuren ins Feld.

Die eigentliche Provokation ist damit jedoch nur ansatzweise geklärt. Besonders brisant stellt sich die Verquickung von Gewalt und Faszination dar, die der Autor nicht nur dem Sozialismus, sondern dem abendländischen Denken überhaupt bescheinigt.

Hinzu kamen inszenatorische Schwierigkeiten: Bei Stücken wie "Hamletmaschine", im Druck gerade einmal sechs Seiten lang, handelt es sich um hochartifizielle Textblöcke, die in Form eines herkömmlichen Rollenspiels peinlich wirken. Für Müllers Durchbruch auf der internationalen Bühne sorgte schließlich seine Selbstdarstellung - im doppelten Sinn. Als Kulturkritiker mit bohèmehafter Existenz wird er zu einem Feuilletonstar, während er sich als sein bester Dramaturg an renommierten Häusern hervortut, zuletzt im Berliner Ensemble, wo er unter anderem Mitglied des Direktoriums und künstlerischer Leiter war.

An seinen Fersen haftet das Image des Erzfinsterlings und notorischen Pessimisten. Doch der Eindruck kann trügen, nicht nur in literarischer Hinsicht: Viele Kollegen sahen in ihm einen heiteren, nachdenklichen, hilfsbereiten Menschen mit beinahe chinesischer Höflichkeit, andere allerdings auch eine völlig verantwortungslose Person.

In seinem letzten Lebensjahrzehnt hat Müller mehr Verpflichtungen angenommen, als er einhalten konnte. Hauschild zählt hier nur noch die Ereignisse auf - darin besteht die einzige Schwäche des Buchs. Zugleich verdichtet sich an dieser Stelle ein Höhe- und Wendepunkt in Müllers Karriere. Der militärische Ost/West-Konflikt gehörte mit dem Fall der Mauer unzweifelhaft der Nachkriegszeit an, so dass Müllers literarischer Überhöhung nun die Spitze genommen war. "Zum Glück", müsste man sagen, Müller aber hat es bedauert.

Titelbild

Jan-Christoph Hauschild: Heiner Müller oder Das Prinzip Zweifel. Eine Biographie.
Aufbau Verlag, Berlin 2001.
619 Seiten, 30,60 EUR.
ISBN-10: 3351025165

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