Bombenentschärfung im Dienste des Liberalismus

Einführung zu Carl Schmitt von Reinhard Mehring

Von Johan Frederik HartleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johan Frederik Hartle

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Neben den sachlichen Argumenten bezaubern Theorien - wie andere Kulturprodukte auch - durch ihr Vermögen zur Provokation und durch den Assoziationsraum ihres Entstehungszusammenhangs. Die Rezeption faschistischer und rechtskonservativer Kultur ist nicht unwesentlich von diesem sekundären Überzeugungsvermögen bestimmt. Der Hauch von Erhabenheit weht den Betrachter eines schäbigen Speer-Bauwerkes an und auch der Appeal der Filme Riefenstahls gewinnt sich nicht allein aus dem technischen Geschick der Filmemacherin. Für die literarische und philosophische Produktion der "konservativen Revolution" gilt dasselbe. Hinter der Begeisterung für Ernst Jünger und Carl Schmitt verbirgt sich nicht selten ein mephistophelischer Flirt mit dem Vatermord am linksliberalen Establishment.

Ein derartiger Rückgriff auf den philosophischen Extremismus, riskantes Denken, mag produktive Widersprüche und Denkräume erschließen können. Immer läuft es aber auch Gefahr, gebotene Wertigkeiten aus den Augen zu verlieren. Anders die Einführung in das politische Denken von Carl Schmitt, die Reinhard Mehring vorlegt. Er ist ein Bombenentschärfer. Seine Einführung widmet sich mit großer Nüchternheit den sachlichen Argumenten und biographischen Verstrickungen, stellt distanziert die Einwände zusammen, auf die Schmitts politische Rechts- und Verfassungstheorie in der neueren Auseinandersetzung auch bei seinen Schülern gestoßen ist und legt auf diese Weise eine sehr korrekte Einführung in eine politisch-theologische Rechtstheorie vor.

Der Zusammenhang von "Nomos" und imperialer "Nahme", der Begriff des Politischen in seiner Zuspitzung auf die bellizistische Verhärtung ethnischer Identitäten und der Vorrang des Politischen vor dem Staat werden als zentrale Gedanken Carl Schmitts paraphrasiert. Ihre Darstellung ist schlüssig und im politischen Kontext klar situiert. Hinsichtlich der ideologischen Verantwortung Carl Schmitts für den Nationalsozialismus bleiben keine Fragen offen. Mehring arbeitet den rechtskonservativen Antiliberalismus heraus und die Rekonstruktion der Biographie nimmt in seiner Einführung einen großen Raum ein. Vor ihrem historischen Hintergrund wird Schmitts Werk chronologisch erschlossen, mitunter vielleicht um den Preis einer zu großen Distanzierung und übereilten Historisierung.

Gerade der Reiz, den Schmitts Denken bis heute ausmacht, kommt dabei ein bisschen zu kurz. Das Misstrauen gegenüber einer dialogisch-konsensualistischen Verkitschung der politischen Kultur und das messianisch-existenzialistische Pathos seiner Theorie des Politischen geraten aus dem Blick. Mehrings Blick ist liberalistisch, rechtstheoretisch und akademisch. Und er lässt ihn nicht nach Frankreich schweifen. Treten in der neueren französischen Philosophie des Politischen Politik und Leidenschaft zusammen, beginnt Politik auch in der avancierten politischen Theorie wieder zu einer Angelegenheit des homme gegenüber der liberalistischen Abstraktion des citoyen zu werden, so kommen dabei auch Motive Carl Schmitts zum Tragen. Die Wirkungsgeschichte, zumindest aber die theoretischen Verwandtschaftsbeziehungen von Carl Schmitt reichen in dieser Weise bis zu Michel Foucault und Chantal Mouffe, finden in jüngeren Hegemonietheorien eine produktive Transformation.

Obgleich Schmitt und seine unmittelbaren Schüler - Kelsen, Forsthoff und andere - die rechts- und verfassungstheoretischen Debatten der Nachkriegszeit nachhaltig bestimmt haben, wäre die Aktualität Carl Schmitts weniger in der nüchternen rechts- und verfassungstheoretischen Auseinandersetzung als im weiteren Zusammenhang jener Philosophie des Politischen zu vermuten. Das agonale Pathos des politischen und philosophischen Denkens Carl Schmitts gehört insofern nicht einfach zum alten Eisen. Doch darüber ist bei Mehring wenig zu erfahren. Die Nüchternheit seiner Schmitt-Monographie entschärft den Sprengstoff, der - einmal zum Zünden gebracht - noch heute fruchtbare Konflikte generieren könnte: jenseits der konsensualistischen und liberalistischen Organisation der politischen Kultur.

Titelbild

Reinhard Mehring: Carl Schmitt zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2001.
168 Seiten, 11,70 EUR.
ISBN-10: 3885063328

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