Ins Freie hinaus

Günther Schiwys Eichendorff Biographie

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Hinter diesen letzten Trümmern einer tausendjährigen Kultur lauert freilich die Anarchie, die Barbarei, und der Kommunismus." So ähnlich, nämlich als "Unglück für die Menschheit", hat auch der weltkluge Heine den "Triumph der Proletarier" beurteilt. Hier aber, und zwar 1847, ein Jahr vor der Revolution, die erst einmal eine bürgerliche war, und ebenso ein Jahr bevor Marx und Engels für eine Handvoll exilierter Handwerker ihr "Kommunistisches Manifest" verfassten, spricht ein Mann, der bislang als weltfremd galt und der mit Heine überdies gemeinsam hat, dass er zur Spätromantik gezählt wird: Joseph von Eichendorff.

Beliebt war der Schlesier vor allem im "Dritten Reich" und auch danach, weil das Wenige, das man von ihm zur Kenntnis nahm, der "Taugenichts" etwa und einige seiner Gedichte, Wald- und Wiesenseligkeit verhieß und als unpolitisch durchgehen konnte. Genauer hat zuletzt 1922 Hans Brandenburg Eichendorffs Werdegang angeschaut, weshalb es denn auch zu begrüßen ist, dass Günther Schiwy es nun in einer umfangreichen "Biographie" unternimmt, den "Dichter in seiner Zeit" und unter Berücksichtigung jüngerer Werkausgaben und Forschungsarbeiten für eine breite Leserschaft zu portraitieren. Es ist dabei kein völlig neuartiges Eichendorff-Bild entstanden. Gleichwohl setzt Schiwy neue Akzente, wenn er etwa Eichendorffs satirische Arbeiten und vor allem seine glänzend geschriebene literaturkritische Essayistik würdigt und den Dichter weniger als "betulichen Biedermann", sondern vielmehr als Menschen vorstellt, der an den Umbrüchen seines Zeitalters mit wachem Gespür teilnahm und an ihren Widersprüchen litt. Für die Jugendzeit greift Schiwy vor allem auf das seit 1798 geführte Tagebuch zurück, dem der junge Baron u. a. seine umfangreiche Lektüre anvertraut. Schon mit deren Untersuchung weitet sich die Biographie zur Kulturgeschichte. Den Schüler und Studenten treibt es, wo immer möglich, ins Theater, das er in drei Jahren rund 200 Mal besucht, eine Leidenschaft, die nur mit der Kinobegeisterung heutiger Cineasten zu vergleichen ist.

An den sogenannten Befreiungskriegen nimmt Eichendorff nicht kämpfend, sondern in der Verwaltung teil, u. a. auch als Besatzer von Paris. Weil der Vater die Güter durch gewagte Spekulationen herunterwirtschaftet und sich zeitweise sogar vor seinen Gläubigern verstecken muss, bleibt dem Sohn nichts anderes übrig, als sich nach dem Jura-Examen um eine Anstellung beim preußischen Staat zu bewerben, welche während der langen Referendarzeit unbezahlt bleibt. Da heißt es für den mittellosen Edelmann, sich anzupassen und Kompromisse zu schließen. Dabei bleibt jedoch auch der spätere Familienvater seiner von Religion und Herkunft geprägten inneren Überzeugung stets treu. Nicht zuletzt aus finanziellen Gründen versucht sich Eichendorff "in amtsfreien Stunden" als Dramatiker. Sein Stück "Der letzte Held von Marienburg" schickt er mit einer Widmung an Goethe, jedoch ohne Resonanz, während der Kronprinz Friedrich Wilhelm mit einer freundlichen Antwort reagiert.

Eichendorff ist keineswegs ein subalterner Beamter. Seine Laufbahn führt ihn durch das ganze Königreich, über Breslau, Danzig, Königsberg nach Berlin. Als Geheimer Rat und Mitglied des Oberzensurkollegiums formuliert er Gesetzesvorlagen. Als Gegner der Karlsbader Beschlüsse verlangt er im Vormärz, "daß das Erscheinen einer Schrift in der Regel weder von der Erlaubniß des Staats, noch von einer Genehmigung der Censur abhängt", bleibt damit jedoch ohne Erfolg. In Loyalitätskonflikte gerät der Katholik auch, als der preußische Staat den Kölner Kirchenfürsten von Droste zu Vischering wegen dessen Romhörigkeit verhaften lässt, ein Akt gegen die Kirche, den nicht einmal Hitler gewagt hätte. Eichendorff schreibt eine Stellungnahme, jedoch anonym. Sein Gedicht "Die Mahnung", worin es u. a. heißt: "O heil´ges Köln, dein Hirte ist gefangen / Die halbe Welt steht jubelnd auf der Lauer", wird erst nach seinem Tod veröffentlich. 1842 formuliert Eichendorff den Aufruf zur Gründung eines Berliners Vereins für den Fortbau des Kölner Doms. Toleranz lernte Eichendorff auch in seiner eigenen Familie: ein Sohn und eine Tochter heirateten mit seinem Einverständnis protestantische Ehepartner. Bemerkenswert ist auch, wie oft man Eichendorff bat, für eher banale Anlässe Gelegenheitenheitsgedichte zu verfassen, was heutige Künstler sicher als Zumutung zurückweisen würden. Seine Dichtung empfand er als Weg "ins Freie hinaus". Deshalb wohl nimmt sie die bekannte "Gipfelperspektive" des Einsiedlers ein und enthält so wenig konkrete politische Stoffe. Wie Goethe fürchtete er die Unordnung, die mit einem revolutionären Kulturbruch einhergehen würde. Wie viele seiner Zeit befürwortete er, so Schiwy, eine "allmähliche Entwicklung aller Verhältnisse zu mehr Freiheit, gemäß der romantischen Maxime: Alles müsse wachsen wie ein Baum, beides sei von Übel: reaktionäres Beharren wie revolutionäres Überstürzen". Damit korrespondiert Schlegels Auffassung vom Wirken der Dichtung als " progressive Universalpoesie". In ihrem Ganzheitsanspruch ist die Poesie auch für Eichendorff normativ und idealisierend. Darin war er Romantiker. Die Wirklichkeit indes nimmt auf das bis heute beliebte organizistische Weltverständnis nicht immer Rücksicht. Das ahnte wohl auch Eichendorff. Als 1848 die Revolution ausbricht, widmet ihr der 60-Jährige verständnisvolle Verse: "Das sündengraue Alte ist gerichtet". Veröffentlicht hat sie der Pensionär "aus Rücksicht auf seine Familie" - Sohn Rudolf und Schwiegersohn Besserer sind Offiziere im preußischen Heer, Sohn Hermann ist preußischer Beamter - aber nicht. Es sind gerade die Widersprüche zwischen Ideal und Wirklichkeit, die Eichendorff auch als Person interessant machen. Weil Schiwy seinen Protagonisten in seiner Zeit und vor einem eindrucksvollen und zu lange vernachlässigten Gesamtwerk entwickelt, wird er diesem hoffentlich eine neue Leserschaft zuführen. Leserfreundlich ist Schiwys Unternehmen allemal. So verzichtet der Autor auf Fußnoten und kommentiert, wo immer nötig, die umfangreichen Zitate mit stupender Gelehrsamkeit an Ort und Stelle. Daraus ergibt sich eine Vernetzung von mehreren Ebenen, welche die Lektüre zu einem Erlebnis werden lässt.

Titelbild

Günther Schiwy: Eichendorff. Der Dichter in seiner Zeit. Eine Biographie.
Verlag C.H.Beck, München 2000.
734 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3406466737

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