Ein deutlicher Fehlschluss

Simone de Beauvoir ist kein feministischer Mandarin

Von Julia DombrowskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Dombrowski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mary Evans' Analyse, die die Hauptwerke der Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir auf die Bedeutung innerhalb des Feminismus untersucht, liest sich mit bemerkenswerter Leichtigkeit. Gerade dieses Merkmal führt aber leider zu Rückschlüssen auf den Inhalt: Die Vermutung liegt nahe, Mary Evans könnte es sich zu leicht gemacht haben.

Das Resultat der Untersuchung klingt sowohl betreten und respektvoll als auch hartnäckig und anklagend. Die Kritik der Soziologiedozentin der Universität Kent wird von vielfachen Beteuerungen begleitet, welch eindrucksvolle, gebildete und wortgewandte Persönlichkeit Simone de Beauvoir trotz aller Einwände gewesen sei. Die kontinuierliche Wiederholung dieser Hochschätzungen in ihren abgewandelten Formen wirkt ermüdend und enervierend. Denn was Evans intendiert, ist eine fundamentale Infragestellung von Beauvoirs Glaubwürdigkeit und Eigenständigkeit.

Evans konfrontiert Beauvoir mit ihrer eigenen Vorstellung des Feminismus, um ihr dann nachzuweisen, dass ihr Werk und ihre Thesen nicht dem Verständnis der modernen Auffassung von Gleichstellung entsprechen. Tatsache aber ist, dass Evans von einer ganz anderen Prämisse, nämlich einem abweichenden Frauenbild ausgeht als die französische Philosophin und Romancière: Evans Untersuchung über Beauvoir enthält deutlich die Hypothese, dass die Frauenbewegung eine vorbestimmte Weiblichkeit fördern müsse. Beauvoir dagegen vertritt eine existentialistische Vorstellung, die dem Menschen eine determinierte Rolle abspricht und an die Freiheit zur Selbstbestimmung glaubt. In "Das andere Geschlecht" schreibt sie: "Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es." Evans verkennt diesen Existentialismus und versucht, Beauvoir den Stempel eines Feminismus aufzudrücken, den diese sicher abgelehnt hätte.

In Beispielen, die Evans den Romanen Beauvoirs entnimmt, versucht sie zu verdeutlichen, dass die weiblichen Romanfiguren sich in Beziehungen zu Männern verausgaben und sich für den Geliebten völlig aufgeben. Daraus will sie einen "patriarchalischen Charakter" aus dem Werk ableiten. Ihre Interpretation sieht Frauen nur dann in einem bedeutenden Sinn als frei dargestellt, wenn sie einem "männlichen Muster" folgen. Dieses Muster bedeute den Verzicht auf Ehe und Kinder, weil Frauen eine stärkere emotionale Abhängigkeit binde als Männer. Den Fakten aber entspricht, dass Beauvoir keineswegs Kinder- und Ehelosigkeit propagierte, sondern auf leichteren Zugang zu höherer Bildung, Berufschancen und Recht auf Geburtenkontrolle für Frauen beharrte.

Evans beanstandet anhand der Prosabeispiele die Darstellung der Geschlechter, weil sie die Frauen als schwach und unmündig, die Männer hingegen als zwar unterdrückend, nicht aber negativ dargestellt empfindet. Obwohl einige der männlichen Protagonisten nicht den modernen feministischen Moralvorstellungen entsprächen, so argumentiert sie, werde kein Mann als "durchtriebener Schurke" dargestellt. Sie übersieht, dass Beauvoir als Existentialistin und weibliche Intellektuelle gerade dadurch der Frau mehr Mündigkeit zuspricht, als sie selbst es tut: Frauen sind so lange tatsächlich schwach und unmündig, bis sie sich aus eigener Kraft für ihre Rechte einsetzen. Nicht im "Schurken Ehemann" verdeutlicht Beauvoir die niedrigere Stellung der Frau, sondern durch die nicht in Frage gestellte Rolle des von Mann und Emotionen abhängigen Wesens.

Evans versucht, dem Œuvre fehlende Unabhängigkeit nachzuweisen und schreibt mit Bezug auf Beauvoirs langjährigen Lebensgefährten Jean-Paul Sartre: "In der Tat muß jedem Leser dieser Studie [...] bewußt werden, daß es unmöglich ist, über die Beauvoir zu schreiben, ohne gleichzeitig Sartre zu erwähnen."

Falsch ist diese Beobachtung nicht, tatsächlich ist nicht zu bestreiten, dass Leben und Werk beider Schriftsteller durch starke gegenseitige Beeinflussung gekennzeichnet sind. Falsch aber ist Evans Schlussfolgerung. Indem sie in jeder schwachen und abhängigen weiblichen Romanfigur die Autorin selbst sieht, beinahe jede dargestellte Beziehung als autobiographische Version der Beziehung zu Sartre auslegt, lautet ihr Schluss, dass das gesamte Werk vordergründig von einer tiefen emotionalen Abhängigkeit geprägt sei.

Beauvoir sagte über die Einwirkung ihrer Beziehung zu Sartre auf ihre Arbeit 1973 in einem Gespräch mit Alice Schwarzer: "Ich meine, das ist kein Einfluss, sondern eine Art Osmose." Evans urteilt in ihrer Interpretation vorschnell, ihre Auslegung der Beziehung ist übereilt, geht unkritisch von einer Abhängigkeit der Frau aus statt von einer gleichberechtigten Wechselwirkung.

In den 13 Jahren seit der deutschen Erstveröffentlichung haben ihre Thesen sicher nicht an Richtigkeit gewonnen.

Titelbild

Mary Evans: Simone de Beauvoir: ein feministischer Mandarin.
Übersetzt aus dem Englischen von Brigitte Heinrich.
Daedalus Verlag, Münster 1999.
204 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3891261012

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch