Wanderer zweier Welten

Peter Ackroyd porträtiert den Dichter und Visionär William Blake

Von Sebastian DomschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Domsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alexander Gilchrist, der in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die erste umfassende Biographie über William Blake schrieb, sah sich noch genötigt, in seinem Vorwort diese Wahl zu rechtfertigen. William Blake war zu dieser Zeit fast vollständig in Vergessenheit geraten, die meisten begnügten sich mit der Einschätzung, dass er verrückt gewesen sei. Von seinen poetischen Werken existierten nur eine handvoll Ausgaben.

Am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts hatte sich diese Situation sehr stark geändert. Wer hat heutzutage nicht schon einmal etwas von William Blake gehört? Schließlich ist er mittlerweile als einer der ganz großen der englischen Literatur anerkannt und unter der Sekundärliteratur biegen sich die Regalbretter. Aber wer hat schon einmal etwas von William Blake gelesen? Seine Texte sind als hermetisch verschrieen, schwierig bis zur Unverständlichkeit, hier findet der Dünkel des Wahnsinns seine Fortsetzung. Dabei gibt es doch gerade zu diesem überraschenden und außergewöhnlichen Dichter einen ebenso einfachen wie zeitgemäßen Zugang. Denn William Blake hat seine wichtigsten Bücher nicht geschrieben, er hat sie gemalt. In einem von ihm erfundenen Druckverfahren kombiniert er Text und Bilder zu einer Einheit von überwältigender visueller Kraft, so dass man seine Gedichte, Visionen und Prophezeiungen lesen kann wie Comics aus einer anderen Welt.

Wer aber war dieser Mensch, der Jahrtausende alte literarische Traditionen mit einer proto-modernen Radikalität in Inhalt und Gestaltung verband? Peter Ackroyd beantwortet diese Frage, indem er erklärt, in welchen Welten William Blake gelebt hat - im urbanen London um 1800 und in einer Welt der Visionen.

William Blake wurde 1757 in London geboren. Eine Schule hat er nie besucht, dafür begann er mit 14 Jahren seine Ausbildung als Künstler, zuerst als Lehrling bei dem Kupferstecher James Basire. Während dieser Lehrzeit machte er intensive Bekanntschaft mit den gotischen Kunstwerken in der Westminster Abbey, die ihn nachhaltig prägen sollten. Nach seiner Lehrzeit wurde er als Schüler in die erst sehr junge Royal Academy aufgenommen, von der er sich jedoch in seinem späteren Leben weitgehend distanzierte. 1782 heiratete er Catherine Boucher, mit der er, der wortgewaltige Streiter für die freie Liebe und uneingeschränkte Sexualität, ein ganzes Leben über zusammenbleiben sollte, in einer zwar kinderlosen, allem Anschein nach aber glücklichen Ehe.

Sein Leben lang arbeitete Blake als Kupferstecher, der um Aufträge kämpfte, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Daneben versuchte er immer wieder, sich als Maler und als Dichter zu etablieren. Das Ergebnis dieser unzähligen gescheiterten Versuche, die ihn immer weiter in die gesellschaftliche Isolation und die Verarmung trieben, ist sein Werk, abgerungen den widrigen Umständen und der Missachtung seiner Zeitgenossen. Blake war zu radikal, sowohl in seiner künstlerischen Eigenheit als auch in seiner Kompromisslosigkeit, um zu Lebzeiten eine größere Popularität zu erlangen. Zwar gab es in seinem Leben immer wieder Freunde und Förderer, doch unweigerlich zerstritt er sich mit ihnen oder entfremdete sich durch seine extremen Ansichten. So blieb er bis zu seinem Tode lediglich als Kunsthandwerker bekannt, von seiner zweifachen außerordentlichen Begabung wusste nur ein kleiner Kreis, vor allem junge Künstler, die sich in Blakes letzten Jahren um in scharten und sich die "Ancients" nannten.

Auch Peter Ackroyd, der bisher letzte Biograph William Blakes, hat eine Doppelbegabung wie sie in den englischsprachigen Ländern ganz selbstverständlich ist, die man hierzulande jedoch nur in Ausnahmefällen antrifft: er ist Gelehrter und Dichter. Er hat eine ganze Reihe von äußerst erfolgreichen Romanen veröffentlicht, die Wissen und Unterhaltung gekonnt zu mischen verstehen und in deren Zentrum meist erfundene oder reale Künstlerfiguren aus vergangenen Zeiten stehen. Daneben nähert er sich der Literatur auch von ihrer wissenschaftlichen Seite, zuerst in seiner Biographie über Charles Dickens, jetzt in der über Blake.

Nun ist Peter Ackroyd keineswegs der erste, der das Leben des englischen Kupferstechers und Visionärs in ein Buch zu bannen versucht. Neben dem bereits erwähnten Alexander Gilchrist gibt es eine ganze Reihe weitere Biographen, so erschien bereits 1906 "The Real Blake" von Edwin J. Ellis, 1991 veröffentlichte James King sein Buch "William Blake. His Life". Warum also eine weitere Biographie?

Man könnte meinen, in seiner Eigenschaft als Schriftsteller ginge es Ackroyd vor allem darum, dem sprachlichen Reichtum Blakes nachzuforschen und seinen Ursprung zu erkunden. Dies trifft jedoch nicht zu, denn während den Texten nicht mehr als die notwendigste Aufmerksamkeit zukommt, verwendet Ackroyd sehr viel Mühe darauf, Blakes Werdegang als visueller Künstler darzustellen. In erschöpfender Form widmet er sich den Auftragsarbeiten des Kupferstechers, beschreibt detailliert die verschiedenen Zeichen- und Drucktechniken und geht den Einflüssen der verschiedenen Zeichenschulen auf den Grund.

Zwei Tendenzen bestimmen daneben die Art, in der Blakes Leben beschrieben wird. Ackroyd relativiert die zwischenmenschlichen Aussagen und intensiviert die topographischen. Hinter die kategorischen Aussagen früherer Biographen über Blakes Bekanntschaften und seine Beziehungen zu anderen Menschen setzt er immer wieder ein Fragezeichen. Die legendären Anekdoten stellt er als solche zur Diskussion, wie etwa die Behauptung, die Blakes pflegten vollkommen nackt in ihrem Garten Gäste zu empfangen.

Ackroyd versteht Blake als ein Produkt der Großstadt London. Für ihn klingen überall in Blakes Dichtung die Geräusche und Bilder dieser ersten europäischen Stadt wieder, die sich auf den Weg in die Industrialisierung machte, und so rekonstruiert er mit akribischer Detailtreue die Straßen, durch die Blake gegangen ist, das alltägliche städtische Leben, von dem Blake fast sein ganzes Leben lang umgeben war und das sich in seinem Geist und Werk zu mythischen Städten wie Jerusalem und Golgonooza transformierte.

Für Blake gab es jedoch zwischen diesen Städten keinen Unterschied, als Wanderer zweier Welten war London für ihn mit Golgonooza identisch. Seine Visionen waren überaus zahlreich und nicht an rauschhafte Zustände gebunden, sie fanden im täglichen Leben statt, sie waren der wahre Teil dieses Lebens. Ackroyd lässt uns an dieser Verschmelzung der Welten teilhaben, indem er Blakes Visionen mit der gleichen Objektivität beschreibt wie die Stadtviertel, in denen Blake wohnte, und er verbessert dadurch das Verständnis für das Werk.

Dem Novizen allerdings ist Blakes Werk zuerst einmal weitgehend verschlossen, und das aus einem ganz pragmatischen Grund: in der deutschen Ausgabe der Biographie existiert es nur in Übersetzung. Die ist zum größten Teil der Neuübersetzung von Thomas Eichhorn entnommen, die 1996 erschienen ist. Dies ist sicherlich eine gute Wahl, da Eichhorn, der auch die Biographie selbst übertragen hat, sich behutsam bemüht hat, Blakes Sprache unserem heutigen Sprachverständnis anzupassen, um so ein Gefühl von seiner zeitlosen Modernität zu vermitteln. Allerdings war Eichhorn sich sehr wohl bewusst, dass eine Übersetzung der Verse Blakes, wie gut sie auch sein mag, nur ein Hilfsmittel sein kann, aber kein Ersatz, weshalb er die Texte zweisprachig herausgab. In der deutschen Ausgabe von Ackroyds Blake-Biographie ist es dem Leser dagegen kein einziges Mal vergönnt, der unvergleichlichen Melodie und Gewalt dieser visionären Worte zu lauschen. Doch dies ist ein leicht zu behebender Mangel in einem ansonsten so informativen wie unterhaltsamen Buch.

Titelbild

Peter Ackroyd: William Blake. Dichter Maler Visionär.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Eichborn.
Knaus Verlag, München 2001.
475 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3813501027

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