Der Junge aus der Kalahari

Henning Mankells Roman "Die rote Antilope"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicht Kurt Wallander, sondern Hans Bengler heißt der Protagonist in Henning Mankells neuem Roman "Die rote Antilope" und entführt uns zum zweiten Mal nach Afrika. Mankell erzählt die Geschichte eines Insektenforschers, der um Anerkennung kämpft, dem es aber an wissenschaftlichem Ehrgeiz mangelt. Im Jahr 1878 bricht er zu einer abenteuerlichen Expedition auf. Er will in der Kalahari nach noch unbekannten Insekten suchen. "Musca bengleriensis" - den Namen, mit dem er in Linnés System Unsterblichkeit anstrebt, hat er schon im Kopf.

Doch Bengler bringt von seiner zwei Jahre währenden Entdeckungstour nicht nur diverse Aufzeichnungen und einige präparierte Tiere mit nach Schweden zurück, sondern auch einen afrikanischen Knaben, den er Daniel tauft. Wochenlange strapaziöse Märsche durch die Wüste, bei denen sich Bengler gegenüber den ihn begleitenden Eingeborenen "zum ersten Mal als der Stärkere fühlte", liegen hinter ihm, als er auf eine kleine Ansiedlung stößt. Dort lebt und herrscht sein schwedischer Landsmann Wilhelm Andersson mit patriarchalischer Strenge. Im Tausch gegen einen Sack Mehl erhält Andersson den kleinen Jungen.

Fortan gilt die Sympathie und Anteilnahme des Lesers nur noch dem Knaben: Ist es für ihn nun eine Erlösung oder eine Strafe, dass sich Bengler in den Kopf gesetzt hat, ihn zu adoptieren und mit in die schwedische Heimat zu nehmen?

Die Figur des Hans Bengler wird dem Leser mit Fortdauer des Romans immer suspekter. Nicht nur, weil er ständig onaniert und fiktive Briefe an die schwedische Prostituierte Matilda schreibt, sondern weil er, der seine Expedition als "Flucht" vor sich selbst bezeichnet, um jeden Preis Aufsehen erregen will. Schafft er es schon nicht als Forscher, so versucht er es in der Rolle des vermeintlichen Wohltäters.

Bengler lässt Daniel (der eigentlich - wie wir später erfahren - Molo heißt) wissenschaftlich untersuchen, bringt ihm die schwedische Sprache und europäische Manieren bei. Doch glücklich wird der Junge nicht. In seinen Träumen sieht er stets eine rote Antilope, die sein leiblicher Vater einst in einen Felsen geritzt hat. Mankell benutzt dieses sprunggewaltige Tier als Allegorie, denn auch Daniel möchte zum Sprung ansetzen - von Schweden zurück nach Afrika.

Der versierte Krimi-Autor Henning Mankell ist auch in diesem Roman nicht zu übersehen, denn es gibt einen Spannungsbogen von der ersten bis zur letzten Seite. Er mündet in die Frage: Hat Daniel mit dem Tod des schwedischen Mädchens Sanna zu tun, das auf bestialische Weise ermordet wurde?

Doch vor allem geht es Henning Mankell in diesem Roman um die Annäherung unterschiedlicher Kulturkreise, um die literarische Weitergabe diesbezüglicher Erfahrungen, die er an seinem Zweitwohnort Maputo (Mosambique) gewonnen hat. Die durchaus ehrbaren Vorsätze reichen nicht aus. Vor allem Benglers eurozentriertes Denken, sein missionarischer Eifer verhindern eine wirkliche Annäherung zwischen "Vater" und Adoptivsohn. "Es ist, als stünde dieser Junge auf der anderen Seite des Lebensflusses, winkte uns zu und erinnerte uns daran, dass der gute Wille nicht allein ausreicht, um anderen Menschen zu helfen - er muss von Vernunft begleitet sein", hat Mankell in einem Interview das Spannungsverhältnis zutreffend beschrieben. "Die rote Antilope" spricht jedoch gleichermaßen Herz wie Kopf an.

Titelbild

Henning Mankell: Die rote Antilope. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Verena.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001.
384 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-10: 3552051694

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