Moskau modern: Xenia liebt es, neue Eindrücke zu sammeln

Plateauschuh-Unterhaltung und Verbrechen in "So helle Augen" von Anna Dankowtsewa

Von Laslo ScholtzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Laslo Scholtze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine junge Frau, Nachbarin und väterlich umsorgte Freundin des pensionierten Kommissars Gurko, wird in Moskau brutal ermordet. Obwohl er sich seit dem Abschied von der Kripo nur noch seiner Frau und vor allem seinem exotischen Privatpflege-Zoo widmet, nimmt Gurko Ermittlungen auf, die bald den Verdacht eines Serienmordes erhärten.

Xenia ist Psychoanalytikerin, hat Mann und Tochter und führt ein modernes und sicheres Leben, was hier soviel meint wie: ihre Sorgen sind der nächste Ämtergang und die Planung der Sylvesterparty, ihre Freuden der neue Golf und die erfolgreiche Bewältigung ihres Terminkalenders. Erst ein neuer Patient, den sie einer Freundin zum Gefallen annimmt, scheint Xenia über Gebühr zu beschäftigen und zu verstimmen.

Gurko und Xenia sind die Protagonisten der beiden Handlungsstränge, die sich in schneller Parallelmontage abwechseln. Der, den Gurko in seiner Geschichte sucht - das wird bald klar -, ist in Xenias Geschichte bereits angekommen - prompt träumt sie von seinen "hellen Augen". Soweit ist man nach einem Viertel des Romans, die Verbindung der Parallelhandlungen ist hergestellt, der weitere Verlauf vorgezeichnet. Während sich über der nichtsahnenden Xenia das Unheil zusammenzieht, liefern Gurkos Ermittlungen die Fakten und Hypothesen über Geschichte und Vorgehen des Mörders.

Bleiben die Fragen: Was sind die Motive des Mörders? Wie wird er sich Xenia nähern und wann zuschlagen? Und wird Gurko ihm vorher auf die Spur kommen? Der Leser stellt seine Vermutungen auf - und wird in allen bestätigt. Viel zu geradlinig und absehbar entwickelt sich das Geschehen, die wichtigen Hinweise werden überdeutlich plaziert, nicht eine falsche Fährte gelegt. Das ist selbst fürs kriminologisch unbedarfte Gemüt schlicht zu wenig.

An Spannung und Dichte legt der Roman zu, als sich Xenias Mann, von Verstörtheit und Distanz seiner Frau alarmiert, aktiv ins Geschehen einklinkt. Im Zuge dessen wird die Geschichte der beiden Eheleute beleuchtet. Sofort gewinnt die erzählte Gegenwart Tiefe, indem sie in einer Vergangenheit verankert wird, die nachwirkt und noch ihren Tribut fordern könnte. Solche 'Hinter-Gründe', die die Handlung vielschichtiger und verschlungener anlegen und ihrem Fortgang eine innere Motivation und Notwendigkeit verleihen, vermisst man über weite (halbgare und konstruierte) Strecken.

Aber die Probleme beginnen hier erst. Dankowtsewa vermag nicht, für ihre Figuren zu begeistern, für die wichtigen leider noch weniger als für die Nebenfiguren. Die Charakterbeschreibungen verlieren sich häufig in Allgemeinplätzen. Xenia ist "eine selbstsichere Frau, die mit allen Problemen fertig werden konnte, die ihr das Leben bescherte", sie liebt Reisen, um "neue Eindrücke zu sammeln", überdies kann sie "rot nicht ausstehen". Das kommt alles doch sehr glatt daher, noch dazu mehr behauptet, denn erzählt. "Sex mit ihrem Mann war für Xenia so angenehm wie alles in ihrem präzise durchorganisierten Leben", ist als Tatsachenbeschreibung intendiert und die Ironie unfreiwillig.

Allzu übersichtlich sind die Rollen der Charaktere angelegt, Widersprüche oder Abgründe liegen ihnen fern. Kann eine Geschichte über Verbrechen ohne sie auskommen? "Unterhaltung" statt russischer Schwermut verspricht der Klappentext, doch Dankowtsewa gestaltet ihre Erzählwelt gleich so arm an Irritationen und Brüchen, dass selbst der psychopathologische Triebtäter in einem schematisierten Profil erstarrt.

Entsprechend wirken die forcierte Leichtigkeit der Sprache und der stets gewollt lockere, flapsige Tonfall auf Dauer eher banal als schwungvoll. "Aus irgendeinem Grund wurde Xenia plötzlich heiß" muss bezeichnenderweise als Spannungssignal herhalten, wenn sich der Mörder nähert. Es erstaunt dann kaum noch, dass "modische Plateauschuhe" Erwähnung finden, und wenn Xenia in Weimar völlig unvermittelt den "noch immer spürbaren Geist Goethes" feststellt, ist die Substanzlosigkeit der Worthülsen offenbar.

"So helle Augen" ist der Auftakt zu einer Krimi-Trilogie, in deren beiden nächsten Teilen Xenias Freundinnen Vera und Marina jeweils die Hauptfigur sein werden. Das ist an sich ein interessantes Konzept, nur wird die Autorin ihre Geschichten im modernen Moskau etwas packender und origineller gestalten müssen - sonst tut's auch die neue "Brigitte".

Titelbild

Anna Dankowtsewa: So helle Augen. Roman.
Übersetzt aus dem Russischen von Christa Vogel.
Diogenes Verlag, Zürich 2001.
225 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3257062842

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