Der Verzweiflung Charme

Dermant Healy erzählt eine irische Liebesgeschichte

Von Andrea PaluchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Paluch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"A Goat's Song" ist Dermont Healys Buch im Englischen betitelt, also ein Bocksgesang. Das ist, wie Healy seinem Leser nicht verschweigt, die wortgeschichtliche Bedeutung für Tragödie. "Tragos" heißt Ziegenbock und "Oide" Lied. "In früherer Zeit haben griechische Schäfer die Böcke auf die eine Insel gebracht und die Ziegen auf eine andere. Wenn die Ziegen dann brunftig wurden, wehte ihr Geruch mit dem Wind zu den Böcken hinüber, die daraufhin einen kunstvollen Gesang anstimmten. Aber selbst das schönste Lied führte nicht zum Erfolg. "Ziegen können nicht schwimmen."

Auf einer Insel, bocksgleich, wohnt der Lachsfischer Jack Ferris am Rande Irlands, am westlichen Ende Europas. Und obwohl sie nur eine Halbinsel ist, kommt doch seine Geliebte Cathrine nicht zu ihm, auch wenn sie gar nicht schwimmen müsste, sondern ihn mit dem Lada erreichen könnte.

Ferris Klagelied, Liebeslied, Leidenslied ist dieses Buch, das also zu Recht im Englischen einen Gattungsnamen zum Titel hat. Im Deutschen aber nicht mit dem gleichen Recht eine Berufsbezeichnung trägt. Denn Ferris ist nicht nur Fischer, er ist auch Künstler. Und so wie sein Liebesleben zerbrochen ist, ist auch seine künstlerische Produktion ins Stocken geraten. Ein verlassener Autor mit einer Schreibblockade gibt sich über 478 Seiten der Erinnerung hin. Dass das hohe Literatur sein soll ist offensichtlich. Aber kann das unterhaltsam sein? Es kann. Aber Healy macht es einem nicht leicht. Denn die Liebesgeschichte zwischen Jack und Cathrine - eine Geschichte des Zanks und Streits - kreuzt sich mit der Historie Irlands - einer Geschichte der Widersprüche und Konflikte. Sie wird überlagert von den religiösen und politischen Problemen der Insel, denn Cathrine ist Protestantin und kommt aus dem Norden, er ist Katholik aus dem Süden Irlands. So liest man in der Liebesgeschichte auch die Historie der grünen Insel - der Insel, von der Hilfeschreie ertönen, die aber letztlich ungehört verhallen im Einerlei, das der Alkohol aus allem macht und in dessen Nebel Jack zunehmend zu versinken droht und in dessen Geist Healy manchmal schreibt wie im Rausch. Dann wieder ist das Buch gespickt mit ebenso schönen wie erhabenen Naturansichten, es changiert sozusagen zwischen Meckern und Gesang. Es ist das Gegenteil eines anschwellenden Bocksgesangs, es ist - in einem etwas geschwollenen Stil - ein Buch des Charmes der Verzweiflung. Es wird leiser, verhaltener und nachdenklicher, je mehr man sich in die Zechereien, Zankereien und Zerstörungen der Gefühle einliest. Dort, unter der rauhen, windigen, verregneten Oberfläche ist es voll stiller Poesie.

Titelbild

Dermot Healy: Der Lachsfischer.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2000.
478 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3455029744

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