Zu Erich Kästners 100. Geburtstag

Erich Kästner ist am 29. Juli 1974 gestorben. Am 23. Februar dieses Jahres wäre er hundert Jahre alt geworden. Die Vorbereitungen zu dem Gedenktag waren zu mehr gut als zur Inszenierung eines öffentlichen Geburtstagsrituals. Sie haben, so läßt sich mit Blick vor allem auf zwei große neue Biographien und auf die kritisch kommentierte Edition seiner Werke schon jetzt sagen, ein erheblich verändertes Kästner-Bild hervorgebracht: Das Werk, das Leben und die Persönlichkeit dieses Autors erscheinen vielschichtiger, widersprüchlicher, fragwürdiger und, trotz des vermehrten Wissens über ihn, zum Teil auch dunkler als zuvor. Die Auseinandersetzung mit Kästner ist dadurch zweifellos reizvoller geworden. Mit welchen Schwierigkeiten sie konfrontiert ist, geht aus folgender Bemerkung des Kästner-Biographen Sven Hanuschek hervor: „In den Nachlässen Erich Kästners und Luiselotte Enderles sind planmäßige Lücken zu beklagen. Bis auf wenige Ausnahmen wie die sogenannten Muttchen-Briefe, einige übersehene Privatbriefe und den eingegliederten Nachlässen von Kästners Sekretärinnen Elfriede Mechnig und Liselotte Rosenow erhält man den Eindruck, als habe jemand systematisch Privates, Persönliches entfernt und vernichtet.“

Zum Profil einer Zeitschrift im Internet paßt es, auf Kästners professionellen Umgang mit den seinerzeit neuen Medien aufmerksam zu machen. Anders als mancher Zeitungsartikel im Vorfeld des 100. Geburtstags interessiert sich der längere Beitrag unseres Mitarbeiters Eberhard Bürger also für Kästners raschen Wechsel nicht der Mädchen, sondern der Medien. Bürger, der sich auf den Band V der neuen Werkausgabe, die Kästner-Biographien von Franz Josef Görtz/Hans Sarkowicz und Sven Hanuschek, auf die Neuausgabe von Ingo Tornows „Erich Kästner und der Film“ sowie auf eigene Recherchen stützt, geht in diesem Zusammenhang auch dem Wechsel der Namen nach, mit dem es Kästner immer wieder gelang, die Öffentlichkeit zu täuschen und Konflikte zu bewältigen.

Stefan Neuhaus, Mitarbeiter am fünften Band der neuen Werkausgabe, hat für literaturkritik.de neben der kleinen Kästner-Biographie, die bei dtv erschienen ist, die beiden großen neuen Kästner-Biographien aus den Verlagen Piper und Hanser gelesen und verglichen. Des weiteren verweist er auf die Neuausgabe der wichtigen, doch bislang kaum verbreiteten Arbeit von Ingo Tornow über Erich Kästner und den Film. Thomas Betz, ein Kästner-Kenner aus München, bespricht schließlich die Werkausgabe, Geret Luhr gibt Hinweise auf weitere Neuerscheinungen anläßlich des bevorstehenden Geburtstags.

Die Null-Nummer von literaturkritik.de versprach Aufklärung über jenen Rezensenten, der Erich Kästners Roman „Fabian“ die Darstellung „abnormer Spielarten des Geschlechtslebens“ vorhielt. Der Verfasser der zitierten Verdikte über den Roman ist Erich Kästner selbst. Den Stil einer empörten Rezension parodierend, hatte er ein Nachwort zu seinem Roman verfaßt, das in der Erstausgabe von 1931 jedoch nicht enthalten ist. Unter dem Titel „Fabian und die Sittenrichter“ erschien es im selben Jahr in der „Weltbühne“. Den ganzen Text und weitere Informationen dazu finden Sie im Anhang von Bd. III der Werkausgabe.

Thomas Anz