Hörspiel des Monats Februar 1999

Vinyl Coda
von Philip Jeck
Komposition und Realisation: Philip Jeck
Produktion: BR 1999

Begündung der Jury:

Musiksequenzen, Geräusche, Stimm- und Sprachfetzen bilden die Klang-Struktur von "Vinyl Coda", einer Performance des britischen Audiokünstlers Philip Jeck. In seiner "loop 'n' scratch" genannten Methode präpariert Jeck alte Vinyl-Platten mit Aufklebern und Stickern. Auch bearbeitet er sie mit einem Skalpell, so daß bei der Tonabnahme Endlosschleifen entstehen. Das Zusammenspiel dieser auf zwölf Kofferplattenspieler aus den 50er und 60er Jahren verteilten Komponenten arrangiert Jeck mit Hilfe elektronischer Verfremdungsgeräte und eines Sampling-Keyboards live im Studio.

Indem er seine Klänge direkt aus der Oberflächenmanipulation der Tonträger gewinnt, arbeitet Jeck in zweierlei Hinsicht mit der Materialität des Akustischen. Seine Komposition bringt befremdliche Töne hervor, generiert einzelne, miteinander verschmelzende Cluster, die rhythmische Strukturen ausbilden, punktuell anklingen, sich verlaufen, durchgeführt werden und wieder verklingen. Die Performance fasziniert, weil sich in der Komposition zwar durchschaubare Muster zu erkennen geben, diese aber aufgebrochen und überraschend variiert werden. So wird die Erwartungshaltung des Hörers immer wieder unterlaufen und das gut 20minütige Stück hält bis zum Schluß Überraschungen parat.

Mit seinem künstlerischen Prinzip, das Unvollkommene antiquierter Hard- und Software der digitalen Perfektion moderner Studiotechnik entgegenzustellen, thematisiert Jeck sowohl das Radio wie auch die 'DJ-Culture', die das Scratchen zur Kunstform entwickelte. Mittlerweile beeinflussen die Musikclubs und ihre DJs selbst aktuelle Entwicklungen der E-Kultur: Theater, Tanz und Medienkunst.

Jecks Klangskulptur bietet eine neue Variante der in den 90er Jahren unternommenen Ansätze des Hörspiels, sich historische Materialien wieder zu erschließen - hier allerdings ohne direkten Zitatcharakter und auch nicht als Remake, sondern als Experiment mit den klanglichen Möglichkeiten überholter Tontechnik. Durch die Darbietungsform der Performance ist auch das Live-Prinzip um eine Variante reicher geworden. "Vinyl Coda" bewegt sich im Grenzbereich zwischen Musik und Hörspiel, und gerade die enge Verknüpfung der beiden Ausdrucksformen gibt dem Stück seinen besonderen Reiz.