Gutzkow-Edition im Internet

Eine Projektskizze

Von Ute SchneiderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ute Schneider

In literaturkritik.de Nr. 01/1999 konstatiert Lutz Hagestedt eine "Gutzkow-Renaissance", die sich an einer beachtlichen Anzahl von Neupublikationen ausgewählter Werke Karl Gutzkows ablesen läßt. Über die nun wieder leicht zugänglichen Drucke wie die "Selbsttaufe" (1998, hrsg. von Stephan Landshuter und Wolfgang Lukas) oder die "Ritter vom Geiste" (1998, hrsg. von Thomas Neumann) und eine kleine Auswahl der publizistischen Schriften (1998, hrsg. von Adrian Hummel) hinaus sollen im Laufe der nächsten Jahre alle Veröffentlichungen Gutzkows im Internet zugänglich sein.

Eine internationale Gruppe von Literatur- und BuchwissenschaftlerInnen hat sich zur Gutzkow-Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen und konzipiert zur Zeit eine Internet-Edition der Schriften Gutzkows, und zwar sowohl seiner Publikationen als auch seiner Briefe, soweit sie auffindbar sind. Das Ziel ist eine möglichst vollständige kommentierte Gesamtausgabe im Internet. Das elektronische Medium bietet sich an, Gutzkows riesige literarische Produktion, seine Romane, Dramen, Erzählungen, Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträge, seine satirischen, ästhetischen, politischen Abhandlungen allesamt lesbar und nutzbar zu machen, um dem vielseitigen Autor dickleibiger Romane, dem Bühnenautor, dem Journalisten, Herausgeber und literarischen Leiter von Zeitschriften gerecht zu werden. Vorteile gegenüber einer Print-Version bietet das Medium durch die Möglichkeit der sinnvollen Vernetzung einzelner Text-Elemente durch Links mit ihren entsprechenden Kommentarstellen, aber auch durch weiterführende Links zu anderen Gutzkow-Texten, zu thematisch verwandten Datenbanken, zu entsprechendem Sekundär-Material. Der an das Print-Medium Buch gebundene lineare Leseakt kann zugunsten eines komplexer strukturierten Lesevorgangs aufgegeben werden, der historische Kontexte und thematische Zusammenhänge in mehreren Ebenen berücksichtigt. Die ebenfalls jüngst erschienene, hervorragend recherchierte "Bibliographie Karl Gutzkow" von Wolfgang Rasch (1998, 2 Bände) liefert neben der Primär- auch Titel der Sekundärliteratur, die ebenfalls für die elektronische Vernetzung der Volltexte genutzt und bereitgestellt werden können.

Warum Gutzkow?

Im Literaturbetrieb des 19. Jahrhunderts nahm Karl Ferdinand Gutzkow (1811-1878) insofern eine herausgehobene Stellung ein, als er zu den wenigen Autoren gehörte, die sich weitgehend von ihrer Schriftstellerei ernähren konnten. Möglich war ihm dies jedoch nur durch ein immenses Produktionsvolumen von Texten. Die Durchsetzung eines neuen Massenmediums im 19. Jahrhundert, der Zeitschrift, führte zu neuen Verdienstmöglichkeiten für Schriftsteller und eröffnete ihnen somit Chancen, das Ideal des "freien Schriftstellers" umzusetzen. Gutzkow nahm die Gelegenheit wahr, durch Originalbeiträge und literaturkritische Arbeiten in literarischen Zeitschriften und Zeitungen am stark expandierenden Buchmarkt ökonomisch zu partizipieren. Vor allem Gutzkows journalistische Arbeiten zeichnen das Bild eines marktorientierten Autors, der darum bemüht war, neue absatzstrategische Ideen bei der Durchsetzung seiner Werke auf dem Buchmarkt umzusetzen. Weitgreifende Veränderungen auf dem deutschen Buchmarkt wie die Verbilligung der Druckerzeugnisse durch technische Innovationen und durch hohe Auflagenzahlen sowie die gleichzeitigen bildungspolitischen Bemühungen ließen erstmals ein Massenpublikum entstehen, das mit Lektürestoffen versorgt werden wollte. Theodor Fontanes Einschätzung, Gutzkow sei "ein brillanter Journalist, der sich das 'Dichten' angewöhnt" habe, läßt sich auch in die umgekehrte Richtung perspektivieren: Gutzkow als einen typischen Vertreter des modernen Schriftstellers im 19. Jahrhundert, dessen Berufsfeld durch die Tätigkeit als Journalist erweitert worden ist.

Die erste Abteilung der geplanten Internet-Werkausgabe wird vor allem die journalistischen und essayistischen Schriften umfassen. Der Verzicht auf eine allgemeine chronologische Aneinanderreihung der journalistischen Schriften zugunsten einer thematischen Untergliederung, innerhalb der wiederum die Texte chronologisch erscheinen, erschließt einen Autor, der sich neben seinen literarischen Werken nicht nur als Literaturkritiker und politischer Schriftsteller engagiert hat, sondern mit großem Interesse das literarische Leben der Zeit kommentierte. Gerade diese Schriften, in denen sich Gutzkow zur literarischen Öffentlichkeit geäußert hat, verdienen besondere Aufmerksamkeit, da er zu allen wesentlichen Entwicklungen auf dem deutschen Buchmarkt Stellung nahm: "Ueber eine Reform des deutschen Buchhandels" (1837), "Ueber Preisherabsetzungen im Buchhandel" (1838), "Autorberuf der Frauen" (1842), "Die Buchhändlermesse" (1849), "Das Kaufen von Büchern" (1854) usw. Die komplexen Beziehungen des Autors zu seinen Verlegern, zu seinem Publikum und zu literarischen Vermittlungsinstanzen spiegeln sich in engagierten Stellungnahmen. Gutzkow kann daher geradezu als Idealtyp des frühen modernen Schriftstellers angesehen werden.

Editionsprinzipien

Als Textgrundlagen dienen grundsätzlich die Erstdrucke, wobei textsortenabhängige Abweichungen zugelassen werden, z.B. Romane nach Bucherstdruck, kritische Schriften nach Zeitschriftenerstdruck, vor allem in den Fällen, in denen Zeitschriftenbeiträge später in veränderter Form auch noch in einem Buch erschienen sind. Gutzkow hat viele seiner Zeitschriftenbeiträge nach einigen Jahren mit kleinen stilistischen und teilweise auch inhaltlichen Veränderungen in Buchausgaben übernommen und/oder hat verschiedene Zeitschriftenbeiträge in verkürzter Form kompiliert und als neuen Beitrag unter veränderter Überschrift abgedruckt. Das kann u.U. dazu führen, daß zwei oder mehrere Fassungen eines Textes ediert werden müssen, und zwar auf der Basis historischer Analysen. Auf einen Lesarten/Variantenteil wird hingegen verzichtet. Einzelne Abhandlungen, die von Gutzkow nach Abdruck in Zeitungen oder Zeitschriften in von ihm selbst zusammengestellten Sammel- und Miszellenbände kompiliert wurden, wie z.B. das "Skizzenbuch" (1839), werden den thematischen Schwerpunkten zugeordnet. Als Werk-Gliederung gilt folgendes Schema:
1. ABTEILUNG: Journalistische und essayistische Schriften
1.1 Kritische und ästhetische Schriften
1.2 Schriften zum literarischen Leben der Zeit
1.3 Schriften zum Theater
1.4 Schriften zur Philosophie, Theologie, Pädagogik
1.5 Politische und historische Schriften
1.6 Zur Gesellschaft
2. ABTEILUNG: Autobiographische Schriften und Reiseliteratur
3. ABTEILUNG: Literarische Werke
4. ABTEILUNG: Briefe

Textüberlieferung, Textdarbietung, Dokumente zur Entstehungsgeschichte der einzelnen Texte sowie Dokumente zu ihrer Wirkungsgeschichte werden mit Ausführungen zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte in den editorischen Apparat aufgenommen. Den jeweiligen Abteilungen der Werkausgabe werden Einleitungen beigestellt, die die entsprechenden Texte in ihren jeweiligen Kontext einordnen. Jeweils ein Globalkommentar zu den einzelnen Schriften kann so entlastet werden, ebenso wie die Einzelstellenkommentare.

Die Einrichtung einer Homepage der Gutzkow-AG erfolgt in Kürze am Department of Modern Languages (German) der Keele University in England. Dort können sich Gutzkow-Interessenten zukünftig fortlaufend informieren und willkommene Kontakte zum Arbeitskreis knüpfen.