Genial in dreißig Tagen

Dorothea Brandes "Schriftsteller werden" verrät die Zauberformel des Schreibens

Von Gunnar KaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gunnar Kaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieses Buch ist ein Kuriosum. Inmitten von allerlei Ratgebern zum "Kreativen Schreiben", die in den letzten Jahren auch im deutschsprachigen Bereich populär geworden sind, von James N. Freys "Wie man einen verdammt guten Roman schreibt" über Sol Steins "Über das Schreiben" bis hin zu den Büchern Lutz von Werders oder Jürgen vom Scheidts, stellt "Schriftsteller werden" von Dorothea Brande eine Ausnahme dar. Das Buch, das jetzt vom Autorenhaus-Verlag erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde, ist bereits im Jahre 1934 in den Vereinigen Staaten erschienen, was auch das im Untertitel bemühte Attribut "Klassiker" erklärt. Man wird also angesichts des Alters des Buches von beinahe siebzig Jahren nicht unbedingt unerhörte, auf die Situation des aufstrebenden Jungautors des 21. Jahrhunderts anwendbare Ratschläge erwarten. Aber erstaunlich ist es doch, wenn dann plötzlich und unvermittelt die Auflösung der "Zauberformel", die dem Schreiben zugrunde liegen soll, angekündigt wird.

Zwischen der Originalausgabe und der deutschsprachigen Erstausgabe liegt eine kulturwissenschaftliche Phase, die unter anderem "Postmoderne" genannt wird. Und diese Tatsache der "späten deutschen Geburt" begründet die Kuriosität des Textes. In allen anderen Lehrbüchern und Ratgebern zum Kreativen Schreiben ist stets die Rede vom unabdingbaren Handwerkszeug, das den meisten angehenden Autoren fehle, von der praktischen Übung, die jeder zweitklassige Maler oder Musiker dem Angehörigen der schreibenden Zunft voraushabe, und davon, dass das Genie nichts als ein Mythos sei, der den zwar talentierten, aber auch ängstlichen Schreiberling von der Perfektionierung und weiteren Ausübung seiner Tätigkeit abhalten soll.

Auch Brande räumt ein, dass man die Kunst des Schreibens, so man sie denn unbedingt als Berufung ansehen will, nur durch tägliches diszipliniertes Üben und das Erlernen handwerklicher Geschicklichkeit meistern wird. Auch sie ist der Meinung, die Zugangsverweigerung "Genie kann nicht vermittelt werden" versetze "der Hoffnung des Schülers den Todesstoß". Doch ihre Anliegen unterscheiden sich dennoch von dem ihrer ratgebenden Kolleginnen und Kollegen. Sie will dem Leser nicht vermitteln, wie man als Schriftsteller schreibt, sondern wie man ein solcher wird. Die Schwierigkeiten bei den meisten, die sich am Verfassen von Texten versuchen, lägen nicht im handwerklichen Können, sondern in vier möglichen Blockaden: in der Unmöglichkeit, überhaupt mit Schreiben zu beginnen; in der Versuchung, in allen Texten immer nur sein eigenes, sein einziges Thema zu wiederholen; in der Schwäche, längere Zeit hintereinander zu arbeiten; und schließlich in der Unfähigkeit, einen Text zu Ende zu führen. Erst nach Beseitigung dieser Hindernisse, so verspricht Brande dem verzweifelt-hoffnungsvollen Poeten, sei die technische Unterweisung überhaupt in Betracht zu ziehen.

Wie wird man denn nun Schriftsteller? Was macht einen Schriftsteller aus? Allen, die es bisher noch nicht wussten, mag die Antwort, die Dorothea Brande gibt, eine Erleuchtung sein: Seien Sie genial! Und worin unterscheidet sich das Genie vom gewöhnlichen Menschen? Die von der Autorin verwendeten Termini und Definitionen sind konventioneller Art und verraten entweder das Studium der deutschen Romantik (die "Zauberformel") und der Philosophen des Deutschen Idealismus (zumindest Kants und Schellings), oder sie zeugen von einer relativ unreflektierten Übernahme populär- und trivialwissenschaftlicher Ansichten, da ja selbst in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts (zumal in Amerika) der Geniegedanke, die Theorien von quasi-göttlicher Inspiration und schöpferischer Originalität seit langer Zeit kulturwissenschaftlicherseits erst einmal (wieder) ad acta gelegt waren.

"Der wirklich geniale Künstler bewahrt bis zu seinem letzten Atemzug seine kindliche Spontaneität und minutiöse Aufnahmebereitschaft, das ,unschuldige Auge', welches für den Maler von so großer Bedeutung ist. [...] Beide Seiten [das Bewusste und das Unbewusste] müssen jederzeit Hand in Hand arbeiten, sonst gelingt kein wirkliches Kunstwerk. [...] Es passiert ihm [dem Künstler] nicht, sondern er läßt es passieren."

Sätze wie diese mögen natürlich manchen heutigen Autoren obsolet erscheinen. Es könnte gleichwohl lohnend sein, die eigene kulturhistorische Situation fürs erste zu vergessen und sich auf den Versuch einzulassen, das "Genie" in sich zu erwecken. Neben den problematischen Grundannahmen Brandes vom "Genie, das sich in höhere Sphären emporschwingt" und der "Quelle der Originalität" gelingen dem Buch wahrhaft nützliche, bei aller Schlichtheit doch einfallsreiche Ratschläge. Die Palette, auch dies trägt zum Sammelsuriumcharakter des Buches bei, ist breit. Sie reicht von dem Versuch, das Unbewusste zu lenken (Brandes Beeinflussung durch die psychoanalytische Kunsttheorie wird dort deutlich, wo sie die Zweitrangigkeit des Intellekts gegenüber dem Unbewussten beim Schreiben behauptet), und die wohlbekannte Technik der "écriture automatique" über die Kunst der Selbstkorrektur und die Erweiterung des Wortschatzes bis hin zur richtigen Lektüre, zur angemessenen Freizeitgestaltung (Beethoven - nicht Goethe! Reiten - nicht lesen!) und zu den Vorteilen einer Schreibmaschine oder eines Computers. All diese so einnehmend vorgetragenen Hinweise vermögen den schreibenden Anfänger sicherlich zu ermutigen und ihm hilfreich zu sein.

Der in seiner fast genialischen Einfachheit erstaunlichste Tipp aber lautet: "Wenn Sie während der Arbeit gerne literweise Kaffee zu sich nehmen, versuchen Sie, wenigstens die Hälfte durch Mate zu ersetzen." - Mate statt Kaffee - sollte dies die Zauberformel des Schreibens sein?

Titelbild

Dorothea Brande: Schriftsteller werden. Der Klassiker über das Schreiben und die Entwicklung zum Schriftsteller.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Kirsten Richers.
Autorenhaus-Verlag Manfred Plinke, Berlin 2001.
135 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 393290978X

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