Wie das New Hollywood den Blockbuster erfand

Peter Biskinds "Easy Riders, Raging Bulls"

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Peter Biskind, der frühere Chefredakteur von "American Film" rechnet ab mit der Zeit, die ihn am deutlichsten prägte. Eine Bewegung ganz unterschiedlicher Filmemacher der 70er Jahre, das sogenannte New Hollywood, steht im Zentrum seines als "Filmsudelbuch" etikettierten Werks. Es handelt sich dabei um einen schwer zu fassenden Begriff, der vollkommen heterogene Filme in einer ihnen gemeinsamen Tendenz zu versammeln sucht. Eine neue Art von Akteuren sei aufgetreten, eine Anhäufung von Antihelden, die sich dem Method Acting des Lee Strasberg Actors Studio verschrieben hatten: Robert de Niro, Jack Nicholson, Al Pacino, Dustin Hoffman, Gene Hackmann etc. auf der einen Seite, Faye Dunaway, Barbra Streisand, Jane Fonda oder Diane Keaton auf der anderen. Improvisation und Wahrhaftigkeit sollten dem verstaubten und korrupten Old Hollywood eines John Wayne entgegengesetzt werden. Risikobereitschaft und Experimentierfreude sollte die Regisseure auszeichnen, die sich dem Einfluss der übermächtigen Studios entziehen wollten. Das Ergebnis dieser vermeintlich ästhetischen Rebellion waren Filme, "die eher von den Charakteren als von der Handlung lebten, sich nicht um traditionelle Erzählkonventionen scherten, das Gebot der technischen Makellosigkeit ignorierten, sprachliche Tabus brachen, allgemein anerkannte Verhaltensnormen sprengten und es wagten, auf ein Happy-End zu verzichten"; so definiert der Autor dieses Œuvre.

Gleichwohl zeichnet er eine Entwicklung nach, die ihren Anfangspunkt in Filmen fand, die vordergründig diesen Ansprüchen genügten, die letztendlich aber auf erneute Konventionen und Manierismen hinausliefen, um schlussendlich in ein Kino von der Stange zu münden. Betrachtet man die Riege der Regisseure und Filme, die das New Hollywood repräsentieren, leuchtet ein, dass sich dieser Terminus kaum für eine profunde Epochenbeschreibung eignet: Neben Peter Bogdanovich, Dennis Hopper, Robert Altman, William Friedkin, Martin Scorsese, Francis Ford Coppola und Terrence Malick stehen Steven Spielberg und George Lucas. Auf "Easy Rider" (1969), "M*A*S*H" (1969), "The Last Picture Show" (1971), "Badlands" (1973) oder "The French Connection" (1971) folgen "American Gigolo" (1979), "Jaws" (1974) und "Star Wars" (1977).

Die Ära des New Hollywood umfasst nach Biskind 13 Jahre, beginnend mit "Bonnie and Clyde" von 1967 und endend mit dem finanziellen und künstlerischen Desaster des Newcomers Michael Cimino: "Heaven's Gate" von 1980. Der Film über das berühmte Gangsterpaar von Arthur Penn, dessen Entstehung weitgehend auf die Initiative des Hauptdarstellers Warren Beatty zurückzuführen ist, ebnete in seiner Radikalität - auch wenn beispielsweise die homosexuelle Neigung Clydes aus dem Drehbuch gestrichen wurde - den Weg für neue Wagnisse. "Easy Rider" folgte zwei Jahre später und wurde ein Überraschungserfolg trotz oder gerade wegen der dilettantischen und chaotischen Dreharbeiten. Hopper hasste Motorräder, schlug seine Frau, war ständig betrunken oder high und stritt sich mit seinem kaum weniger paranoiden Freund Peter Fonda, der nicht nur als "Captain America", sondern auch als Autor und Produzent des Films fungierte. Sie diskutierten über die ursprüngliche Idee, das Geld und die endgültige Schnittfassung - Hopper bevorzugte seine Fassung von über vier Stunden Dauer - sie missgönnten einander den Erfolg und redeten die Leistung des Drehbuchautors Terry Southern klein. Mit dem Film wurden beide zu Stars, die für kurze Zeit so etwas wie Narrenfreiheit genießen durften. Als Universal Hoppers ambitioniertes und hypertrophes Projekt, das ironischerweise den Titel "The last movie" (1971) trug, finanzierte, konnte die Produktionsgesellschaft kaum ahnen, worauf sie sich einließ. Es begann bereits damit, dass Hopper für den Schnitt des Films ein volles Jahr veranschlagte (üblich waren drei Monate). Der Film wurde ein Debakel, auch wenn er einen Kritikerpreis in Venedig gewann. Nicht einmal das erhoffte, vermeintlich aufgeschlossene studentische Publikum wollte ihn sehen. Für lange Jahre sollte dies Hoppers letzte Regiearbeit gewesen sein.

In Hoppers Person spiegelt sich das Scheitern der jungen Regisseure sehr deutlich wider. Viele andere nebem ihm scheiterten in der ein oder anderen Weise an den eigenen Ansprüchen. Diejenigen, die stets unabhängig arbeiten wollten, drehten abgeschmackte Fortsetzungen ihrer ersten Filme, verkauften sich an die großen Studios, um Auftragsarbeiten lieblos herunterzudrehen oder wollten nur noch einen Publikumserfolg nach dem anderen produzieren. Als profitabel erwies sich schließlich die Sprengung des Erstaufführungsmonopols von einzelnen Kinos, an deren Stelle der Massenstart trat. Dass somit ausgerechnet diese Generation, abgesehen von der herausragenden Qualität einiger Werke, mit "The Godfather" (1971) den ersten Blockbuster schuf, um im Anschluss mit "Jaws" die Änderungen der Filmbranche dermaßen zu zementieren, dass unabhängige, künstlerische Filme vorerst passé waren, ist wohl als verhängnisvoll zu bezeichnen. Nach Spielbergs "Der weiße Hai" (1974) wurde der Massenstart unumgänglich, die Etats für Fernsehwerbung stiegen beträchtlich, so dass die Kosten für Marketing und Verleih die der eigentlichen Produktion bald übertreffen sollten. Ein Film, der sich aufgrund seiner Qualität erst langsam durchsetzte, entsprach nun nicht mehr der Strategie der Hollywood-Studios.

Auch wenn die Regisseure eine gewisse künstlerische Freiheit erreichten, wurde die Diskrepanz zwischen prahlerischem Anspruch und der Wirklichkeit offenbar. "Star Wars" garantierte Lucas zwar die finanzielle Unabhängigkeit von den Studios, da er durch die Rechte am Merchandising reich wurde, an seinen eigenwilligen Film "THX 1138" (1969) knüpfte er danach allerdings nicht an; stattdessen schlug das Imperium zurück, und zwar, wie man bis in unsere Zeit hinein sehen kann, mit aggressivstem Marketing. Ein ebensolches Dilemma war die Einbildung, persönliche Filme drehen zu wollen, entgegen dem Prinzip der Stangenware von Studioproduktionen. Nahezu alle Regisseure des New Hollywood orientierten sich an europäischen oder asiatischen Vorbildern, was die Intention und Herangehensweise des Filmens betrifft. Fellini, Antonioni, Bergman und Kurosawa wurden zu Leitbildern, das Cinéma vérité und die Nouvelle Vague wurden als ästhetische Revolutionen gefeiert. Jeder wollte ein auteur sein, auch wenn dies bedeutete, die Leistungen der Drehbuchschreiber zu verschweigen, so wie dies Altman bei "M*A*S*H" tat. Einer der wenigen, der tatsächlich konsequent den Weg eines auteurs einschlug, wird hingegen zu selten erwähnt, obwohl seine Karriere in derselben Zeit begann: Woody Allen. Darüber hinaus gerieten einige Stars durch ihren Erfolg an den Rand des Größenwahns, der gepaart mit einer äußerst unprofessionellen Arbeitsauffassung nicht allein das Budget strapazierte, sondern durchaus auch lebensgefährliche Ausmaße annehmen konnte. So erlitt Martin Sheen auf dem Set von "Apocalypse Now" (1976-1979) einen Herzanfall, nachdem Coppola bereits Harvey Keitel als Hauptdarsteller gefeuert hatte. Ein Taifun tobte über den Drehort hinweg und die einheimischen Bootsführer, die die Location-Scouts über die Gewässer der Philippinen transportierten, trugen angeblich T-Shirts mit Nummern auf dem Rücken, damit man sie im Falle des Ertrinkens leichter identifizieren konnte. Während der Post-Production infolge eines manischen Schubes - Coppola nahm jahrelang Lithium - erzählte der Regisseur seinen Cuttern, er wolle angesichts der aufkommenden Computertechnologie eine zehnstündige Fassung von Goethes "Wahlverwandtschaften" drehen, in 3D! So kolportiert es jedenfalls Biskind, wie er überhaupt zahlreiche Anekdoten aneinanderreiht, die von den jeweiligen Protagonisten immer wieder dementiert oder variiert werden. So erfährt der Leser vieles, was er nicht unbedingt wissen wollte und was auch gar nicht der Wahrheit entsprechen muss. Wer mit wem und welche Drogen dabei genommen wurden, das steht allzu oft im Vordergrund. Dass Beatty zuerst Bob Dylan die Rolle des Clyde anbieten wollte, mag noch auf das Interesse des kinobegeisterten Historikers stoßen, dass Roman Polanski, der für "Chinatown" (1974) von Rom nach L.A. gekommen war, nach den Manson-Morden stets einen Schlüpfer Sharon Tates mit sich führte, reizt eher das Publikum der Klatschpresse. Trotz dieses Einwands ist es verblüffend, was für eine Materialmenge Biskind in seiner Abhandlung ausbreitet. Dem Fan wie dem Filmhistoriker wird die Lektüre einigen Gewinn und Genuss bereiten.

Titelbild

Peter Biskind: Easy Riders, Raging Bulls. Wie die Sex, Drugs & Rock'N'Roll-Generation Hollywood rettete.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Fritz Schneider.
Rogner & Bernhard Verlag, Hamburg 2000.
852 Seiten, 25,10 EUR.
ISBN-10: 3807702083

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